Im „Altbau“ des Polizeipräsidiums am Jürgensplatz findet man, ganz prominent im Foyer, an der Brüstung des ersten Obergeschosses, 463 Düsseldorfer Adressen. Unübersehbar - und doch gingen viele darunter hinweg, oder oben vorbei, sich zuweilen wundernd, was es mit diesen dunklen Straßenschildern auf sich haben mag. Selten fragend.
Es gibt Antworten, doch keine leichten!
Die Straßenschilder stehen für Tatorte, die nie aufgenommen wurden, bei denen vieles hätte aufgeklärt, verhindert werden können – wenn die Polizei schnell vor Ort gewesen wäre. Tatorte in einem Haus der Polizei, in dem man sich über steigende Aufklärungsquoten bei Straftaten gefreut hätte, noch heute freut. Tatorte, bei denen die Polizei jedoch wegschauen musste, was geschah und, als alles passiert war, aufpassen sollte, dass keiner mehr plünderte oder Anderes von Anderen beschädigt wurde.
Unfassbar - unvorstellbar? Tatsache! Das geschah 1938, in der Nacht vom 9. auf den 10. November und am darauf folgenden Tage - lange her.
Wir haben vor einigen Tagen - auch nach 82 Jahren - daran erinnert, wie jedes Jahr. Doch es war anders angesichts der Einschränkungen, die die Corona-Pandemie gebot. „Düsseldorf erinnert“. Ein leuchtend rot-schwarzes Plakat nannte die abstrakten Fakten – wie das Ergebnis eines Polizeiberichts:
9. November 1938 - 24 Stunden: 450 Überfälle, 70 Verletzte, 13 Tote.
Das ist verbürgt, vielleicht waren es sogar mehr. Ohne jeder Anklage – und doch müssen wir uns still die Frage stellen: wo war die Polizei? Ein anderes Plakat offenbarte, was und wie es geschah: „sie rasten durchs Zimmer und zertrümmerten, zerschmetterten, zertrampelten alles“ so Hanna Zürndorfer, damals 12 Jahre alt.
Tatorte, an denen ein aus Parteifunktionären, Partei-, SA- und SS-Mitgliedern sowie älteren der Hitler-Jugend bestehender NS-Pöbel mit anderen Gefolgs- und Gesinnungsgenossen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 und in den Tagen darauf wüteten, jüdische Menschen in unserer Stadt Düsseldorf – ohne dass sie etwas getan hatten, als jüdisch zu sein - überfallen, in Schrecken versetzt, verprügelt, gequält, misshandelt, schwer verletzt, in den Tod getrieben, in Konzentrationslager verschleppt, auch getötet, ihre Synagogen, Gemeindehäuser, Einrichtungen, Wohnungen und Geschäfte gestürmt, geplündert, verwüstet und zerstört hatten.
Die Polizei hat nicht nur weg geschaut! Sie war in das, was folgte, aktiv eingebunden! Noch in der Nacht und im Laufe des 10.11.1938 waren in Düsseldorf durch die Gestapo und sie unterstützende Kriminal- und Schutzpolizei mindestens 141 Menschen festgenommen und ins Polizeigefängnis Düsseldorf am damaligen Mackensenplatz (heute: Jürgensplatz) eingeliefert worden, darunter 18 Frauen und sechs Kinder zwischen fünf und 15 Jahren sowie eine nicht unerhebliche Anzahl älterer Männer bis zum Alter von 80 Jahren. Es war einer der Auftakte zu weiterer Verfolgung und millionenfachem Morden die folgten - auch unter tatkräftiger Mithilfe der Polizei.
Das ist lange her und doch präsent – seit einigen Jahren mit den Adressen der Tatorte an der Brüstung des ersten Obergeschosses im Foyer unseres Polizeipräsidiums. Es muss präsent bleiben. Wir müssen aus der Vergangenheit lernen und Verantwortung für heute übernehmen. Verantwortung, dass diese Geschichte niemals vergessen wird und dass diese Geschichte oder Vergleichbares sich nicht wiederholt. Dass Polizei nicht wegschaut, wenn Unrecht geschieht. Das ist Aufgabe der Polizei und jeder einzelnen und jedes einzelnen von ihnen in unserem demokratisch aufgestellten Rechtsstaat; das ist Aufgabe auch der Polizei in Düsseldorf.
In den nächsten Monaten wird die Sanierung des Altbaus des Polizeipräsidiums auch diesen Bereich erreichen, der dann abgesperrt für die Zeit der Arbeiten nicht mehr zugänglich sein wird - von Bauleuten abgesehen.
Nicht mehr zugänglich wird auch das Bodenmosaik im Foyer sein: Es zeigt inmitten eines großen Polizeisterns das neue preußische Staatssymbol von 1933: unter der anmaßenden Devise „Gott mit uns“ einen neuen preußischen Adler mit stolz aufgerecktem Kopf und Schwert und Blitzbündel in den Fängen als Zeichen der Macht. Das einstige Hakenkreuz auf der Brust ist nach Ende des Krieges und der Nazi-Herrschaft 1945 entfernt worden. Dieses Mosaik war und bleibt sichtbares Zeichen, dass 1933 eine völlig veränderte, den NS-Machthabern bedingungslos willfährige Polizei in das neue Polizeipräsidium eingezogen war. Das war „damals“, in jenen Tagen. Heute – eine Mahnung!
Durch ein Gerüst zur Sanierung und Säuberung der Fassade wird auch das sichtbare Zeichen unserer Gegenwart, der Gleichheit und gleichen Würde jedes Menschen, der Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung zu sehen sein, das in dem vom Düsseldorfer Polizisten und Künstler Anatol Herzfeld 1984 geschaffenen Dreieck symbolisiert ist und dem 1936 am Polizeipräsidium angebrachten NS-Reichsadler vorgesetzt wurde – die schreckliche Vergangenheit nicht tilgend, sondern sie auch im Auge behaltend.
Düsseldorf im November 2020