Jeder Angehörige der Polizei konnte bereits am 1. Dezember 1941 in den »Mitteilungsblättern für die Schulung der Ordnungspolizei« nachlesen, was mit diesen Menschen passieren sollte:
(Zitat) „Das Wort des Führers, dass ein vom Judentum angezettelter neuer Krieg nicht die Zerschlagung des antisemitischen Deutschland, sondern vielmehr das Ende des Judentums bringen werde, wird in diesen Tagen vollstreckt. Die gewaltigen Räume des Ostens, die Deutschland und Europa nun zur Kolonisation zur Verfügung stehen, ermöglichen in naher Zukunft auch die endgültige Lösung des jüdischen Problems, d.h. nicht nur die Entmachtung, sondern die tatsächliche Ausscheidung der parasitären Rasse aus der europäischen Völkerfamilie. Was noch vor 2 Jahren unmöglich erschien, wird nun Schritt für Schritt Wirklichkeit: Am Ende dieses Krieges steht das judenfreie Europa."(Zitat Ende)
Mit Fernschreiben Nr. 13.165 vom 12. Dezember 1941 meldet die Stapoleitstelle Düsseldorf unter dem Aktenzeichen II B4/71.02/1300/41 an den SS-Stubaf. Eichmann im Referat IV B4 des Reichssicherheitshauptamts, dass „der Transportzug Do 38 den Abgangsbahnhof Düsseldorf-Derendorf in Richtung Riga mit insgesamt 1007 Juden verlassen" hat. Die Abfahrtszeit wurde für den 11. Dezember 1941, 10.45 Uhr, gemeldet. Zuvor hatten bereits am 27. Oktober und am 10. November von Derendorf aus größere Deportationen stattgefunden. Beim ersten Transport wurden 1011 jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, überwiegend aus Düsseldorf und den größeren Städten der Region, zum Ghetto nach Litzmannstadt/Lodz abgeschoben. Die zweite große Deportation ging dann mit etwa 1000 Personen, darunter fast 600 Juden aus Düsseldorf zum Ghetto von Minsk. Von diesen beiden Transporten sind keine näheren Einzelheiten bekannt.
Dieser dritte Judentransport aus dem Rheinland vom 11. Dezember wurde von einem Kommando der Schutzpolizei Düsseldorf in der Stärke von 1 : 15 Beamten begleitet.
(Den Originalbericht als PDF-Dokument - 2,03 MB - finden Sie hier)
Transportführer war der damalige Hauptmann der Schutzpolizei Paul Salitter. Über den Verlauf der „Evakuierung von Juden nach Riga" hat Salitter am 26. Dezember 1941 einen insgesamt neunseitigen Bericht verfasst, der sich heute im Original in der Wiener Library in London befindet. Beigeheftet war diesem Bericht eine zweiseitige Aufstellung, in der die Menschen, die in Richtung Osten deportiert wurden und einem ungewissen Schicksal entgegenfuhren, nach Geschlecht, Alter und Beruf akribisch per Strichliste erfasst wurden.
Die Namen der 15 Schutzpolizisten aus Düsseldorf sind nicht überliefert. Es dürfte sich aber, um mit den Worten des Historikers Christopher. R. Browning zu sprechen, um ‚ganz normale Männer’ gehandelt haben.
Lediglich der Name des Transportführers, damals noch Hauptmann der Schutzpolizei, ist erhalten geblieben. Es handelt sich um Paul Salitter. Wer war dieser Mann und was ist aus ihm geworden?
Auf dem Speicher des Düsseldorfer Polizeipräsidiums fand sich zufällig zwischen anderen Unterlagen ein nur 16 Seiten starkes Aktenstück über Salitter. Paul Salitter wurde am 15.12.1898 in Labellen, Kreis Treuburg (Ostpreußen) geboren. Nach der Schule wurde er Bürogehilfe.
Vom 21.03.1917 bis zum 09.10.1919 war Salitter Soldat, zuletzt mit dem Dienstgrad eines Oberfeldwebels. Am 10.10.1919 trat er in Königsberg in den Polizeidienst ein. Wann Salitter nach Düsseldorf versetzt worden ist, ist nicht bekannt. Bekannt ist lediglich, dass er zumindest im Jahre 1941 im Bereich S II (Personal) beim Kommando der Schutzpolizei Düsseldorf Dienst versah. Am 13.03.1942 wird Salitter von Düsseldorf zur Polizeiverwaltung Brest-Litowsk abgeordnet. Über seine dortige Tätigkeit ist nichts bekannt.
Nach dem Kriegsende meldet sich der zwischenzeitlich zum Major der Schutzpolizei beförderte Salitter in Düsseldorf zum Dienst zurück. Er wird im 2. Polizeirevier verwendet.
Durch die alliierte Militärregierung wird gegen Salitter Mitte 1945 ein Untersuchungsverfahren eingeleitet. Aufgrund dieses Verfahrens wird er mit Verfügung vom 12.07.1945 durch den damaligen Polizeipräsidenten, Oberregierungsrat Dr. Dr. Otto Goetsch vom Dienst suspendiert.
Am 18.10.1945 wird Salitter dann auf Anordnung der Militärregierung vom 11.10.1945 aus dem Polizeidienst entlassen. Offensichtlich erfolgte zwischenzeitlich eine Internierung Salitters in ein alliiertes Internierungslager. Aus der Internierung wird er nach eigenen Angaben am 08.12.1946 entlassen.
Mit Schreiben vom 16.01.1947 bewirbt sich Salitter dann beim Oberbürgermeister -Polizeiverwaltung- um „Wiederverwendung im Dienst der Schutzpolizei".
In seinem Gesuch heißt es: „In meiner Wohnung fand ich den Bescheid vor, nach dem ich ... aus dem Amt entlassen bin. Dieser Bescheid trifft mich ausserordentlich hart, da ich aus Ostpreussen stamme, seit 1919 im Polizeidienst stehe und seit dieser Zeit nur meine Pflicht getan habe. Ich verspreche, auch in der neuen Demokratie meine ganze Persönlichkeit in den Dienst der Sache zu stellen, genau so, wie ich es unter der Regierung Wilhelms II, Ebert, Hindenburg und im dritten Reich getan habe, und bitte, mich wieder in der Schutzpolizei - wenn auch im Dienstrang eines Oberinspektors - verwenden zu wollen.
Dass ich in Düsseldorf meine Dienstpflichten gewissenhaft und unparteiisch erfüllt habe, werden sämtliche alten Düsseldorfer Polizeibeamten bestätigen können ... . Bei meiner Entlassung aus dem Internierungslager bin ich vorläufig in Gruppe III des Entnazifizierungsgesetzes eingestuft worden. Mir wurde jedoch die Weisung erteilt, mich in meinem Heimatort Düsseldorf endgültig einstufen zu lassen. ...
„Salitter wurde durch den Einreihungsbescheid (nach Berufung) in die Kategorie III eingestuft.
Gleichzeitig wurden ihm folgende Auflagen erteilt: ‚Bewegungsbeschränkungen, Sperre des Vermögens , Anstellungsbeschränkungen (Ist mit einer Pension von RM. 150.- in den Ruhestand zu versetzen, es ist ihm zu verbieten, eine leitende oder aufsichtsführende Stellung zu bekleiden oder eine Tätigkeit auszuüben, welche die Anstellung oder Entlassung von Personal in einem öffentlichen oder halböffentlichen Betrieb oder in einem bedeutenden Privatunternehmen mit sich bringt.’
Unter Hinweis auf diese Auflagen wurde sein Wiedereinstellungsgesuch mit Datum vom 13.07.1948 durch den Chef der Polizei, Polizeidirektor Leonhard Simons, abgelehnt.
Nach Berufung gegen die Einreihung in die Kategorie III wurde Salitter dann mit Datum vom 14.07.1949 mit der Auflage, ihn „auf den Rang eines Polizeimeisters" zurückzustufen, nun durch den Berufungsausschuss des Entnazifizierungsausschusses im Stadtkreis Düsseldorf in die Kategorie IV eingestuft.
Datiert vom 19.08.1949, legte Salitter dem Chef der Polizei Düsseldorf ein Wiedereinstellungsgesuch vor. In diesem Gesuch bittet er „erneut um Wiedereinstellung in den Dienst der hiesigen Schutzpolizei." Für den Fall, dass eine Wiederverwendung „z.Zt. nicht möglich sein" sollte, bat Salitter seine „Einstellung, ggfs. auch für den Pol. Verwaltungsdienst, für einen späteren Zeitpunkt vorzumerken."
Mit Datum vom 24.08.1949 wird Salitter dann vom Chef der Polizei mitgeteilt, dass eine Einstellung mangels freier Planstellen weder im Exekutiv-, noch im Verwaltungsdienst erfolgen kann. Auch auf ein erneutes Gesuch vom 10.09.1949 wurde Salitter nicht wieder in den Polizeidienst eingestellt. Der entsprechende Ablehnungsbescheid ist vom 22.09.1949 datiert.
Aus dem Jahr 1966 ist ein Schreiben von Salitter an das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen bekannt. Das LKA ermittelte damals in einem Strafverfahren gegen ehemalige Düsseldorfer Angehörige der Gestapo, die an der Organisation von Deportationen beteiligt waren. In seiner Stellungnahme vom 02.08.1966 teilt Salitter mit, er habe erst von lettischen Polizeioffizieren erfahren, dass in Riga massenhaft Juden erschossen wurden. Bis zu diesem Zeitpunkt habe er gedacht, dass es sich bei dem Transport um eine „Umsiedlungsaktion" handeln würde.
Über den weiteren Lebensweg von Paul Salitter ist nichts bekannt. Paul Salitter verstarb am 08.01.1972.