Ansprache von Frau Ltd. Reg. Direktorin Silke Wehmhörner in Vertretung der Polizeipräsidentin in Düsseldorf an der Gedenkstätte des Hinrichtungsortes am 16.4.2024

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

liebe Frau Siebner, ...

in der Nacht vom 16. auf den 17. April 1945 sind an dieser Stelle Männer hingerichtet worden, die die Stadt Düsseldorf retten wollten. Hier, auf dem ehemaligen Hof der „Allgemeinen Berufsschule“ wurden

  • der Bauunternehmer Theodor Andreesen (37 Jahre)
  • der Malermeister Karl Kleppe (55 Jahre)
  • der Ingenieur Josef Knab (50 Jahre) und
  • der Student Hermann Weill (20 Jahre)

ermordet, nachdem ein Standgerichtsverfahren sie wegen Kriegsverrates zum Tode verurteilt hatte.

Die Männer der „Aktion Rheinland“ haben ihr Leben gelassen für unzählige Düsseldorferinnen und Düsseldorfer. Sie haben die Stadt Düsseldorf vor der völligen Zerstörung gerettet, ob nun durch den gerade noch abgewendeten Bombenangriff oder durch die Nazis selbst, die den anrückenden Amerikanern nur „verbrannte Erde“ hinterlassen wollten. Sie waren mutig, so mutig, wie nur wenige in der damaligen Zeit.

Hingerichtet wurde ein fünfter Mann. Franz Jürgens, 49 Jahre alt, damals Kommandeur  der Schutzpolizei. Sein Name ist mittlerweile hier auf der Gedenktafel nicht mehr zu sehen. Sie haben die Diskussionen der letzten Wochen verfolgt. Ich möchte sie an dieser Stelle nicht fortsetzen oder gar bewerten – aber ich möchte Franz Jürgens erwähnen. Denn: heute geht es um die, die für ihre mutige Tat ihr Leben lassen mussten. Und dazu gehörte auch Franz Jürgens. Auch er hat sich um die Stadt Düsseldorf und deren Einwohnerinnen und Einwohner verdient gemacht, indem er die Aktion Rheinland aktiv unterstützt hat. Das möchte niemand verschweigen oder schmälern. Und gleichzeitig hat er schwere Schuld auf sich geladen, in dem er als hoher Polizeioffizier in die Gräueltaten des NS-Regimes verstrickt war. Diese Ambivalenz ist schwer auszuhalten.

Lassen Sie mich den Blick weiten: Indem wir auch viele Jahrzehnte nach Kriegsende noch weiter forschen, prüfen, bisher gewonnene Erkenntnisse auf den Prüfstand stellen, ggf. Maßnahmen korrigieren – schlicht uns weiter aktiv mit dem dunkelsten Kapitel unserer Vergangenheit auseinandersetzen – betreiben wir nicht nur historische Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern politische Bildung und Prävention im besten Sinne.

Ich habe vor einigen Tagen mit unserer neuen Polizeipräsidentin und jungen Führungskräften die Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf besucht. Die persönlichen Schicksale berühren und die Frage, wie haben sich Menschen während der Zeit des Nationalsozialismus verhalten, welche Alltagserfahrungen und Prägungen haben sie erfahren, wirft wahrscheinlich bei allen die Frage auf, wie hätte ich mich verhalten. Wäre ich so mutig gewesen, wie die Männer, derer wir heute gedenken?

In Zeiten, in denen der Rechtsextremismus erstarkt, in denen nicht weniger, sondern mehr Krisenherde als im letzten Jahr uns tiefe Sorge bereitet, ist es umso wichtiger, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, um für die Zukunft daraus zu lernen.

Demokratie und Freiheit sind keine Geschenke, sondern Ergebnis täglicher Arbeit

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

 

 

Ansprache von Frau Claudia Siebner, Enkelin von Aloys Odenthal, am 16.4.2024

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Keller, sehr geehrte Frau Wehmhörner, lieber Ole, liebe Angehörige der Familie Andresen, sehr geehrter Herr Dr. Fleermann, sehr geehrter Herr Dybowski,

sehr geehrte Gäste,

79 Jahre sind seit der Ermordung der Widerstandkämpfer hier an dieser Stelle vergangen und wir haben uns auch heute ganz bewusst hier versammelt, damit der 16.April 1945 und die Ereignisse in diesen Stunden nie vergessen werden. Die Rettung der Stadt Düsseldorf war das Ziel der Aktion Rheinland, nicht um ihrer selbst Willen sondern damit unendliches Kriegsleid endlich beendet wird. Theodor Andresen, Karl Kleppe, Josef Knab, Herrmann Weill wurden hier ermordet nach unmenschlichen Misshandlungen und Folter. Es waren Menschen wie du und ich, Mitbürger der Stadt, die sich aber ganz bewusst dem menschenverachtenden grausamen und totalitären Regime der Nationalsozialisten gemeinsam mit August Wiedenhofen und Aloys Odenthal widersetzen wollten.

Das Band, das diese Gruppe bei aller Unterschiedlichkeit einte, war: die abgrundtiefe Verachtung von Adolf Hitler und aller nationalsozialistischen Politik. Deshalb sollte das sich abzeichnende Ende des NS-Regime schneller herbeigeführt werden, ohne weiteres Blutvergießen der Mitbürgerinnen und Mitbürgern und eine vermutlich damit einhergehende Zerstörung der Stadt Düsseldorf, die wir gerade in den letzten Monaten des Krieges in vielen deutschen Städten sehen konnten.

Ihr Verbündeter war der damalige Polizei Oberstleutnant Franz Jürgens, den sie in der Zeit vor dem 16. April gewinnen konnten, damit sich Wege ins und Türen im Polizeipräsidium öffneten. Ziel war es, entscheidende Personen festzusetzen, um dann gemeinsam die Stadt zu retten.

Es ist auch heute aus meiner Sicht, selbst wenn in den letzten Monaten eine im Ergebnis andere Bewertung von Franz Jürgens vorgenommen wurde, klar, dass der Weg ohne Franz Jürgens überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Der Plan konnte nur mit dem Verbündeten der NS-Gefolgsleute gelingen.

Das ist und bleibt eine nicht zu vergessene Tatsache.

Ich zitiere aus dem 2022 erschienenen Buch Aktion Rheinland von Karl-Heinz Keldungs, der ebenfalls neuere Quellenforschung betrieben und daraus abgeleitet Annalysen vorgenommen hat: „Im Übrigen haben sie mit der von ihnen inszenierten Tat von Franz Jürgens die Initialzündung gegeben, um sinnloses Blutvergießen zu verhindern. Wenn es mehr solcher Leute wie Dr. Wiedenhofen, Franz Jürgens  und Aloys Odenthal und ihre Freunde gegeben in anderen Städten gegeben hätte, hätten mehr Menschen den Krieg überlebt“.[1]

Klar ist aber auch und das habe ich gerade im vergangenen Jahr an dieser Stelle gesagt, dass Franz Jürgens mit seinem Kontakt zur Gruppe der Aktion Rheinland ganz offensichtlich zeigt, eigenes Zitat „dass das System, dem er selbst diente, das ihn beförderte, seiner Treue unwürdig geworden war“.

Es bedurfte meiner Meinung nach also immer einer kritischen Würdigung der Person Franz Jürgens.

Denn klar ist auch, der Widerstand innerhalb des NS-Regime brach in vielen Fällen erst dann auf, als ein Sieg von Hitler-Deutschland in weite Ferne gerückt war, alle Heilsversprechen längst verpufft waren.

Denn die Akzeptanz und Verinnerlichung der totalitäre Staatsideologie war natürlich kennzeichnend für alle, die dem Hitler-Deutschland dienten. Sie waren treue Gefolgsleute, sie bereiteten nicht nur Judentransporte vor und setzten die Rasseideologie vorbehaltlos um, sondern vollzogen die verordnete Gleichschaltung.

Auf der Internetseite der Deutschen Hochschule der Polizei wird dies gerade in Bezug auf die Polizei mehr als eindeutig beschrieben:[2] „Das NS-Unrechtsregime schafft einen Doppelstaat, in dem das vorhandene zivile Verwaltungssystem mittels Maßnahmen aus verschiedenen Machtzentren willkürlich unterlaufen wird. Die Grenze zwischen Polizei und SS wird bewusst zugunsten der SS verwischt, der schließlich alle Gewalt zufällt.“ Ziel war eine umfassende Militarisierung und "Verreichlichung" und damit einhergehend die parteipolitische Einbindung der Polizei ins NS- Herrschaftssystem.

Und weiter: Spätestens mit Himmlers Berufung Mitte 1936 in das Amt des Reichsführer SS und Chefs der Polizei erfolgte die endgültige Unterordnung: „Die Polizeiausbildung und -praxis erfährt eine inhumane weltanschauliche Verzerrung und die Polizeiorganisation wird zum willfährigen Instrument der Verbrechen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes.“

Eine klare frühe Abgrenzung lässt sich in den Geschichtsbücher also nicht finden. Wie auch!

Das machte ja aus der Sicht der damaligen  sog. Staatsdiener  keinen Sinn, denn die Folgen wären für sie absehbar gewesen. Ihre aus damaliger Sicht dann sog Untreue wäre maximal bestraft worden. Ihr Tod wäre unausweichlich gewesen. Sie waren also umfassende Unterstützer des Regimes, ohne die Hitlers von Hass getriebenen Führerschaft keine Chance gehabt hätte. Sie waren die zentralen Figuren, die sehr lange vorbehaltlos an der Seite der NS-Maschinerie standen. Das galt insbesondere auch für den späten Widerstand innerhalb des Militärs, das ohne Wenn und Aber die Nürnberger Rassegesetze 1935, die Pogrome 1938 und die Verfolgung der Juden unterstützte.

Festzuhalten ist, dass die grundsätzliche pro NS-Haltung bei den sog. NS-Staatsdienern nicht in Frage zu stellen ist.

Für den dann im Einzelfall erfolgten „Umschwung“ der Haltung, nicht selten in den letzten Kriegsmonaten, mag es vielfältige Gründe geben. War es, dass die Hitler-Begeisterung wich und Resignation folgte, sollte der eigene Kopf irgendwie noch gerade rechtzeitig aus der Schlinge gezogen werden, sollte die eigene Zukunft irgendwie abgesichert werden.

Es waren wohl insgesamt durchaus egoistische Motive.

Wir können es nicht zu 100% in jedem Einzelfall darlegen. So gibt es auch historische Bewertungen, die zu dem Ergebnis kommen, dass gezeigt werden sollte, dass es im System noch sog. anständige Deutsche gibt, die eine Alternative zum Nazi-Regime sind.

Denn gerade beim im Zeitverlauf späten Widerstand im System war vermutlich jedem einzelnen auch klar, dass sich die Befürworter und Unterstützer des Regimes auch nach dem Krieg Verantwortung übernehmen müssen.

Was bei jedem einzelnen der plötzlichen internen nennen wir sie Regimewiderständler eher ausgeschlossen ist, ist also eine komplette Gesinnungsänderung. Im Gegenteil.

Und zur Klarheit gehört in diesem Kontext dann auch, dass unzählige Viten nach dem Krieg mit plumpen Fälschungen über die wahre Gesinnung in der NS-Zeit mit einer Art selbstdurchgeführten Rehabilitation gerade gerückt wurden, die es den einzelnen Personen ermöglichte mit einem eigenen manipulierten Lebenslauf auch wichtige Stellen im Nachkriegsdeutschland zu besetzen.

So leugneten sie schlicht und ergreifend ihre Mittäterschaft, hatten Erinnerungslücken oder mussten erst auf großem Druck hin ihre Taten eingestehen.

Dafür lassen sich in vielen Berufsfeldern (Beamte) Beispiele finden.

Nehmen wir den unbekannten Geschichtslehrer aus einer beliebigen Stadt in D, der nach dem Krieg aus sog. großer Not heraus, da seine Familie sonst kein finanzielles Auskommen hatte, seine Position innerhalb  des Naziregime relativierte bzw. gänzlich leugnete, um wieder im Staatsdienst einzusteigen.

Naturgemäß sind das die weniger bekannten Menschen, die aber nicht weniger wichtig sind in einer Gesamtbewertung.

Auch wenn bei einigen schließlich lange nach Kriegsende scheibchenweise Wahrheit ans Licht, ist festzuhalten, dass dies nicht nur Mitläufer waren, sondern ihre Gesinnung eindeutig und unmissverständlich der Naziideologie folgte.

Hier hätte nach dem Krieg unbedingt noch viel genauer hingeschaut werden müssen, damit die Gefolgsleute und die mit dem NS Regime eng Verwobenen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden.

Gerade die Beamten der NS-Zeit konnten teilweise danach unbehelligt den Rest ihres beruflichen  Lebens verbringen und zwar mit auskömmlicher späterer Pension.

Denn in weiten Teilen wurden sie nie zur Verantwortung gezogen, sie schwiegen in den eigenen Familien und auch öffentlich zu ihrer Verantwortung.

Deshalb ist es richtig, auch heute Forschungen fortzusetzen und daraus Rückschlüsse zu ziehen, die möglicherweise eine Neubewertung zur Folge haben.

Staatsdienst heißt immer besondere Staatstreue.

Genau deshalb dürfen sich die damaligen Fehlern nicht wiederholen und da sind wir bei der gegenwärtigen Verantwortung.

Die tragen wir alle hier ganz besonders an diesem Tag und an diesem Ort: Während eine Rehabilitation der hier Ermordeten des 16.4. über Jahrzehnte ausblieb, ich habe das im letzten Jahr ausgeführt, müssen wir heute sehr viel genauer hinsehen.

(Straßen-)Umbenennungen sind eine Möglichkeit, auch wenn es verschiedene öffentliche Debatten dazu gibt.

Aber, und das gehört dann auch dazu, mit möglichen Umbenennungen muss eine klare  historische Aufbereitung einhergehen.

Und dabei ist es dann genauso notwendig, Personen wie Franz Jürgens keineswegs aus dem Gedächtnis verschwinden zu lassen.

Und dabei auch, die ohne Frage wichtige Rolle rund um den 16. April zum Thema zu machen. Denn wie gesagt: nur mit Franz Jürgens konnten sich die Türen öffnen.

Gerade auch für die heutigen Mitarbeitenden im Polizeidienst ist es wichtig an den Biographien zu erkennen, welche Folgen einerseits Ideologisierung hat und wie Staaten zugrunde gerichtet werden können, wenn Macht in falsche Hände gerät.

NUR daraus können wir lernen, nur so können nachfolgende Generationen und Bedienstete im Staatsdienst besser nachvollziehen und verstehen.

Führerideologie zu implementieren, kann bei den entsprechenden Rahmenbedingungen vielleicht schneller möglich sein, als wir heute denken und diejenigen, die der Staatstreue verpflichtet sind, sind dann eben leichte Opfer, dem muss gerade heute mehr denn je vorgebeugt werden.

Deshalb darf das oft zitierte „Wehret den Anfängen“ nicht ins Absurde geführt werden, wenn wir zu Angriffen auf unsere Demokratie schweigen.

Deshalb ist auch die Verantwortung der politisch handelnden Akteure heute größer denn je und das sage ich sehr bewusst im Vorfeld der anstehenden Wahlen.

Klare Kante muss klare Kante bleiben, Relativierung darf keine Chance haben, denn die völkisch rechtsnationale Gesinnung, die sich an vielen Stellen zeigt, darf nicht der Anfang vom Ende unser freiheitlichen Demokratie sein.

Der Polizeibeauftragte der Bundesregierung Uli Götsch sagt dazu:[3] „ […] Ich halte es für hochproblematisch, wenn Polizeibeschäftigte in der AfD Mitglied sind oder die Partei anderweitig unterstützen." Die Partei habe sich in den vergangenen Monaten "extrem radikalisiert".

Und weiter „Die Geschichte lehrt uns, dass es verheerend ist, wenn Polizei und Justiz von Feinden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unterwandert werden.“

Diese Gefahr ist aktuell nicht zu unterschätzen und verlangt ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit für sich abzeichnende Tendenzen und diesen muss entschieden entgegengetreten werden.

Deshalb tragen alle im Staatsdienst eine sehr große Verantwortung und ganz besonders die Führungskräfte.

Und wenn wir auch nur annähernd den hier Ermordeten gerecht werden wollen, dann heißt das: mahnen. Erinnern, erklären, Raum für das Gedenken geben, Aufklärung ermöglichen, um der Geschichtsvergessenheit keine Chance zu geben.

Vielen Dank.

 

[1]s. Karl-Heinz Keldungs: Die „Aktion Rheinland“, Düsseldorf 2022, S. 75

[2]https://www.dhpol.de/die_hochschule/hochschulbibliothek/polizei-im-nationalsozialismus.php

[3]Polizeibeauftragter d. Bundesregierung Uli Götsch in ARD „Tagesthemen“ am 15.3.2024