zum Artikel „Wie jetzt mit Franz Jürgens umgegangen wird“,
Rheinische Post vom 15.3.2024
Die Anklage steht: Franz Jürgens soll aus dem Bild der Stadt getilgt werden. Die nach ihm benannte Straße, der Platz, die Schule sollen umbenannt werden. So wird es in einer Vorlage der Stadtverwaltung dem Rat zur Entscheidung vorgelegt. Der Rat, das Tribunal, muss entscheiden.
Man wolle Jürgens nicht aus dem Stadtgedächtnis tilgen, soll Dr. Fleermann in der Sitzung der Bezirksvertretung 3 versichert haben. Neueste Forschungsergebnisse würden jedoch einen kritischen Umgang mit seiner Person bedingen. Doch diese neuen Forschungsergebnisse werfen mehr Fragen zu Jürgens auf, als sie eindeutige Antworten und Gewissheit geben. Die aktuell oft pauschal nachgebeteten „aktuellen Forschungsergebnisse“ (Andrea Dittchen hat letztes Jahr darüber vorgetragen, Stefani Geilhausen in der Rhein. Post v. 27.6.2023 darüber berichtet), die als so völlig umwälzend eingeordnet, doch nicht im Einzelnen konkret genannt werden, sind eher Leerformeln denn Lehrformeln. Sie sind zwar für die Vita Jürgens' speziell neu und interessant hinsichtlich der Beurteilung durch seine Vorgesetzten, offenbaren aber zu seiner inneren Einstellung nichts und im Wesentlichen für den, der NS-Geschichte kennt, kaum Überraschendes. Wir wissen, dass Jürgens als hoher Polizeioffizier in das NS-Regime und seine Untaten verstrickt war. Das wussten aus eigenem Erleben auch die Mitstreiter der Aktion Rheinland. Sie wussten, dass es Deportationen jüdischer Menschen mit Hilfe der Schutzpolizei auch aus Düsseldorf gegeben hatte. Der Umgang mit Jürgens war nie unkritisch, auch zuvor nicht – soweit ich dies bislang verfolgen konnte. Er war und ist problematisch und wird es bleiben. Franz Jürgens ist weder nach Kriegsende noch später hier als „Held“ oder „Widerständler“ gefeiert worden, wenn es in mancher Zeitung in eher journalistischer Dramaturgie auch so anklang, und wie es Düsseldorf aus Darmstadt immer wieder vorgeworfen wird, wo man Jürgens insbesondere die Deportationen jüdischer Menschen ankreidet, als hätte er sie aus eigenem Entschluss organisiert und durchführen lassen. Die Wünsche der jüdischen Gemeinschaft in Darmstadt wie hier in Düsseldorf zu Franz Jürgens kann ich verstehen; sie gründen auf der Tatsache, dass er und seine Schutzpolizei bei den Deportationen in Darmstadt mitwirken mussten. Der Befehl, dem Jürgens hier folgte, ist in den gedruckten Materialien zum Nürnberger Prozess seit 1949 nachzulesen. Auch Vorbild schlechthin ist Jürgens hier nie gewesen. An Jürgens war stets zusammen, nie isoliert oder herausgehoben, mit den Mitstreitern der Aktion Rheinland gedacht und an ihr gemeinsames mannhaftes Aufbegehren am 16.4.1945 erinnert worden, die Stadt vor einem letzten Sturmangriff durch widerstandslose Übergabe zu bewahren. Andresen, Jürgens, Knab, Kleppe und Weil haben das mit ihrem Leben bezahlen müssen. Jürgens hat den Männern der Aktion Rheinland nicht nur einen Passierschein und Fahrer mit Fahrzeug für den Weg zu den amerikanischen Truppen zur Verfügung gestellt, sondern auch mit Männern der Aktion SS-Polizeipräsident Korreng im Polizeipräsidium verhaftet und in eine Zelle des Polizeigefängnisses sperren lassen. Er habe in den letzten 20 Stunden des NS-Regimes in Düsseldorf Mut bewiesen – anerkennt auch Dr. Fleermann, doch in den zwölf Jahren davor finde sich kein Hinweis bei ihm auf Kritik am Regime. Das stimmt und doch nicht ganz. In den bislang überlieferten und bekannten Unterlagen zu Jürgens findet sich überhaupt kein Hinweis auf seine innere Einstellung, dazu was er gedacht und geglaubt hatte, wenn man von den Fakten, dass er im Frühjahr 1933 der NSDAP beigetreten und 1937 aus der evangelischen Kirche ausgetreten ist, absieht, und „Kritik am Regime“ hätte seinen Beruf gekostet – er hatte keinen anderen. Der Vorgang aus dem SS-Rasse- und Siedlungshauptamt gibt mehr Rätsel auf, als dass er Klarheit schafft. Und was sagt es über Jürgens aus, dass „er von SS-Offizieren protegiert und befördert worden“ ist? Rückt Jürgens damit quasi automatisch in diesen Dunstkreis? Verfallen wir damit nicht selbst jenen Denkstrukturen? Bis zum Beweis des Gegenteils gilt erst einmal gar nichts. Es gibt dafür – auch nachgewiesen – kein Automatismus; in der NS-Zeit sind selbst parteilose Beamte befördert worden; die Kriterien, Bedingungen, Überlegungen dafür waren in der Praxis höchst unterschiedlich und vielschichtig.
Wenn Dr. Fleermann resumierend fest stellt, dass bisher „viele Details des Gesamtbildes nicht bekannt“ gewesen wären, dann ist das eine etwas voreilige Schlussfolgerung. Auch heute und selbst mit den neuen Details aus den zuvor nicht bekannten Unterlagen entsteht kein „Gesamtbild“ von Jürgens, wenn man Spekulationen meiden will; sie alle gestatten nur Annäherungen. Und gehören zu einem Gesamtbild nicht auch die Bedingungen jener Zeit? Und was ist mit den Bedingungen der Nachkriegszeit, den Jahrzehnten danach, in denen Jürgens von dem Gedenken an das Geschehen und an die anderen vier ermordeten Kameraden der Aktion Rheinland von den Überlebenden und auch der Stadt Düsseldorf nie ausgeschlossen sondern immer mit einbezogen war und wurde? Ist man sich bewusst, dass hier ein deutlicher Bruch vollzogen werden soll?
Für die Umbenennungen sind Vorschläge genannt: zwei Frauen, die möglicherweise ihre Verdienste haben – viel lässt Ihr Artikel vom 15.4. dazu nicht erkennen. Ob sie auch dem erst im vergangenen Jahr erstellten und in die Düsseldorfer Hauptsatzung neu eingefügten Kriterien-Katalog des § 26 Benennung von öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen entsprechen, müsste detaillierter dargetan werden, um gegen Jürgens zu überzeugen. Wird hier nicht plakativ Schein fabriziert statt Sein gebildet und darüber hinweg getäuscht, dass es – trotz Anstrengungen - nur mühsam zu folgen vermag? Dass das Berufskolleg sich von Personen-Benennung ganz verabschieden will und einen ihr entsprechenden funktionalen Namen wählt, ist verständlich – auch zeiten- und kritiksicherer.
Man wolle „Jürgens nicht aus dem Stadtgedächtnis tilgen“ – wo doch die nach einem der Vorlage stattgebenden Ratsbeschluss dann gesetzten Zeichen für sich sprechen werden, auch die in vermeintlicher Correctness korrigierenden Mätzchen am Gedenkstein. Wie will man in die Stadtgesellschaft hineinwirken, wenn es keine öffentlichen Anstöße mehr zu Fragen und Diskussionen, zu Reibereien, meinetwegen auch zu Ärgernis gibt und wer besucht schon das Mahnmal und das Ehrengrab auf dem Nordfriedhof? Im Kampf gegen Rechtsextremismus, gegen Rassismus, gegen Antisemitismus, die allemal Dummheit sind, hilft – wenn überhaupt – nur Kenntnis, Denken, Nach- und Überdenken, Urteilen, Wissen aus dem dann im Bewusstwerden und Bewusstsein Gewissen erwächst, was frühzeitig erkennt und widerstehen kann. Aus der Vita Jürgens' ließe sich vieles dafür lernen, wie Verstrickungen geschehen und wachsen. Insofern ist – entgegen mancher Meinung - Franz Jürgens durchaus der jungen Generation vermittelbar, nicht als Vorbild (was hier nie geschehen ist), doch was unbedacht geschehen kann und wovor wir auch heute in überall anzutreffender Selbstgewissheit nicht gefeit sind. Ich habe Zweifel, ob die jetzt begrüßte vordergründig plakative Tilgung Jürgens' im öffentlichen Raum zu einer besseren „Erinnerungskultur und der politischen Bildung“ führen wird, wie mancher hoffen will.
Im Übrigen ist die Umbenennung Dr. Kellers Entscheidung, der sich mit seiner Presseerklärung vom 18.8.2023 bereits entsprechend fest gelegt hat. Warum schickt er Dr. Fleermann zur Rechtfertigung und Verteidigung seiner Absicht und seines Entschlusses vor und begründet und verteidigt nicht selbst seinen Entscheid? Meine Ansicht dazu hatte ich ihm in einem persönlichen Schreiben vom August letzten Jahres bereits dargelegt; ich wurde an Dr. Fleermann verwiesen. Er wünschte eine breite Debatte, die ich bislang vermisse. Hierzu mein nun auch öffentlicher Beitrag.
Nicht zuletzt irritiert – neben dem selbstgewissen Ton in der bisherigen Debatte - das geäußerte Procedere und lässt nachdenken, dass nach dem Ratsbeschluss das Polizeipräsidium und der Polizeigeschichtsverein Geschichte am Jürgensplatz eingebunden werden soll – nachdem Jürgens quasi ausgebunden wurde. Was erwartet man sich? Vom Vorsitzenden des Polizeigeschichtsvereins wird es zu dieser Art vordergründiger und plakativer historischer Erinnerung und eiliger „Bereinigung“ sicher kein „Ja“ und „Amen“ geben. Wohlgemerkt: der Verein betreibt Forschung, Erkundung, Aufarbeitung der Düsseldorfer Polizeigeschichte, er betreibt weder Heldenverehrung noch Verharmlosung dessen, was geschehen ist.
Michael Dybowski, Polizeipräsident a.D., Vorsitzender des „Vereins Geschichte am Jürgensplatz e.V.“