Gedenken 09.11.23 01Jahr ums Jahr erinnern und gedenken Jüdische Gemeinde, Stadt, Land, auch Polizei und viele Verbände, Gesellschaften und Vereine mit zahlreichen Bürgerinnen und Bürger Düsseldorfs in der Kasernenstraße der von unbändigem Hass gesteuerten Ausschreitungen, Zerstörungen, Gräuel, Bedrohungen, Misshandlungen, auch Morde von friedliebenden jüdischen Menschen jeden Alters und Geschlechts am 9./10. November 1938 und in den folgenden Tagen, die vielen Menschen in unserer Stadt Nachbarn, Bekannte, Freunde, Helfer waren.
Vergebens hofften jüdische Menschen darauf, dass die Polizei ihnen in der Gefahr beistehe, sie schütze. Ihnen beigestanden, ihnen geholfen in ihrer Not hatten nur wenige. Die Polizei - kraft Gesetzes zur Abwehr von Gefahren und Störungen der öffentlichen Ordnung, auch von Gefahren für Menschen, für ihr Leben und  Eigentum berufen - musste fort bleiben, den nationalsozialistischen Mob wüten und zerstören lassen. Sie sollte erst später, viel zu spät eingreifen, als das Meiste schon geschehen war, und auch nur um Plünderungen und Schäden am Eigentum anderer zu verhindern. (Zu dem, was in Düsseldorf am 9./10. 11.1938 geschah, s. den Beitrag „Das Pogrom des 9./10. November 1938“ unter dem Link Geschichte)

Es ist der Ort, wo ihre Große Synagoge stand, die in der Nacht des 9. November 1938 im Zuge des Pogroms im Beisein vieler Menschen angesteckt wurde und ausbrannte. Ein Gedenkstein mit dem Abbild der Synagoge erinnert und mahnt daran. Über dem Gedenkstein vor der Wand des dort neu errichteten Gebäudes war in diesem Jahr auf großer Leinwand das Abbild dieser einst prächtigen neoromanischen Großen Synagoge zu sehen, erbaut nach den Plänen des rheinischen Kirchenarchitekten Josef Kleesattel, eine vorerst temporäre Lichtinstallation des Düsseldorfer Künstlers Mischa Kuball mit dem Titel „missing link_“. Sie soll an die Geschichte des Ortes erinnern, ihr eine neue Sichtbarkeit verschaffen und das schändliche Tun an diesem jüdischen Gotteshaus, der Großen Synagoge, die dem Gebet und dem Zusammenkommen diente, ins Bewusstsein rufen.

Auslöser des Pogroms, des Wütens und verbrecherischen Tuns des nationalsozialistischen Mobs - wahrheitswidrig und verharmlosend „Volkszorn“ genannt - war das aus Verzweiflung geborene Attentat des 17jährigen Herschel Grynszpan auf den Botschaftsangehörigen Ernst von Rath in Paris am 7. November; vom Rath war am 9. November am Nachmittag seinen erlittenen Verletzungen erlegen. Die Ursache für das verzweifelte Handeln des jungen Mannes hatten die Nationalsozialisten durch ihre beispiellose, jahrelange Hetze gegen Juden, dann aber durch die wenige Tage vorausgegangene „Polenaktion“ am 28./29. Oktober, von der auch seine Eltern betroffen wurden, selbst gesetzt, machten nun aber den jungen Herschel und hinter ihm das Weltjudentum dafür verantwortlich.

Den Verbrechen des 9./10. Novembers 1938 sollten schlimmere folgen. Die Folgen dieses ungezügelten, entfesselten Hasses und anderer Verblendungen hat unser Volk teuer zu spüren bekommen, nicht teuer genug, wie es viele verdient hätten. Und doch halten sich in unserem Land bis heute viele Vorurteile gegen jüdische und andere Menschen, unbedachte, unsinnige und unsägliche Sprüche, die allemal Dummheit offenbaren, und sie begleitender Hass - und scheinen zu wachsen. Umso notwendiger ist die nicht nur jährliche, sondern stete Erinnerung, was Menschen hier und anderen Orts im deutschen Namen geschah. Umso notwendiger ist das nicht nachlassende Mahnen und Versprechen, dass solches oder ähnliches „nie wieder“ geschehen dürfe.

In Israel, doch auch hier war umso schrecklicher für jüdische Menschen zu erleben, was bei dem Terrorüberfall von fanatisierten, islamistischen, Juden hassenden Hamas-Kriegern aus Gaza am 7. Oktober geschah. Sie hatten etwa 1.200 Menschen friedlich lebende, teils feiernde Menschen ermordet und etwa 240 entführt. So war das diesjährige Gedenken - anders als in den Vorjahren - auch von diesem Terrorüberfall überschattet und unser Gedenken eingebettet in das Gedenken an die Opfer dieses schrecklichen, unbarmherzigen Verbrechens, an die Getöteten wie die noch immer Verschleppten.

Vielen - doch längst nicht allen - wurde bewusst, dass das, was danach auch hier auf deutschen Straßen geschah, nicht nur jüdische Menschen und ihre erneut aufgebrochenen Ängste betrifft, sondern uns alle. Sie bestärken unsere Sorgen und Ängste um unseren freiheitlichen demokratischen Staat und unsere offene Gesellschaft, wenn wieder dumme Vorurteile, ungezügelte Verleumdungen und bewusst geschürter und entfesselter Hass gegen jüdische, israelische und andere Menschen sich breit machen und das friedliche Zusammenleben vergiften. Der Staats- und Rechtswissenschaftler, auch zeitweiliger Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde hat 1964 den inzwischen klassisch gewordenen Satz geprägt: „Der freiheitliche säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des Einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert.“ Diesen Satz gilt es festzuhalten, in unserer Erinnerung wie ebenso als Richtschnur unseres Denkens und Handelns: im gemeinsamen Festhalten und Bewahren von Menschenwürde und Menschenrechten eines jeden, im Mitgefühl, in Solidarität, Friedfertigkeit und Nächstenliebe angesichts dumpfer Aggressivitäten  und Feindseligkeiten, im unbeirrten Festhalten an unserer freiheitlichen, demokratischen Verfassungs- und Rechtsordnung und der aus ihr folgenden Verpflichtungen.

Das jährlich erinnerte, gemahnte und appellierte „nie wieder“ ist brennend aktuell zum „nie wieder – jetzt!“ geworden, nicht nur heute und morgen, sondern immer jetzt! Das ist - im Wissen, was jüdischen Menschen Juden überall in Europa im deutschem Namen geschah und dass uns später nicht die gleichen Vorwürfe nächster Generationen treffen sollen - unsere bleibende Verpflichtung, die sich nicht nur im Erinnern, Gedenken und Reden erschöpft, vielmehr in steter, heller Wachsamkeit und im Handeln, um zerstörendem, hasserfüllten Denken und Handeln, um Terror und blinder aggressiver Feindschaft gezielt und unerschrocken Einhalt zu gebieten und keinen Raum zu überlassen.

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