Das gespaltene Gedenken 01 Das gespaltene Gedenken 02

Wie jedes Jahr haben sich Repräsentanten von Stadt und Polizei, Familienangehörige und Freunde am Gedenkort für die fünf Männer, die ihrer aufbegehrenden, mannhaften Tat am 16. April 1945 wegen vom unerbittlich rächenden NS-Regime hier hingerichtet, ermordet wurden, versammelt um ihrer zu gedenken.

Es war ein anderes Gedenken als in den Jahren zuvor. Da hatten die überlebenden Freunde aus der „Aktion Rheinland“ und die Angehörigen - und mit ihnen Vertreter der Stadt und der Polizei - der Ermordeten, Theodor Andresen, Karl Kleppe, Josef Knab, Hermann Weill und auch Franz Jürgens, gedacht, den sie - obgleich als einstiger Polizeikommandeur in das mordende NS-Unrechtsregime verstrickt - ob seines mannhaften Verhaltens und Mittuns am 16. April 1945 stets zu den Ihren rechneten, mal im größeren, mal im kleineren Rahmen hier am Ort und an den Gräbern auf dem Nord- und dem Gerresheimer Waldfriedhof Kränze niedergelegt. 1957 hatte die Stadt vorn zur Färberstraße hin, wo sie auf dem rückwärtigen Gelände hinten vor einer Mauer erschossen worden waren, ein schlichtes Mahnmal mit der Gedenktafel errichtet, die die Inschrift trägt:

„Am 16. April 1945 fielen auf diesem Gelände für die Befreiung der Stadt Düsseldorf von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft die pflichtbewussten Bürger
Oberstleutnant Franz Jürgens, Theodor Andresen, Karl Kleppe, Josef Knab, Hermann Weill.
Unsere Liebe – ihr Lohn.“

Diese Gedenktafel waren ebenso wie der Teil der Mauer vor einigen Jahren im Wege der Neugestaltung des Geländes hier an der Anton-Betz-Straße neu aufgerichtet worden.

Ungeteiltes Gedenken an alle dort Genannten war es an diesem 16. April 2024 nach 79 Jahren nicht mehr. Der erinnernde Gedenkstein an die hier ermordeten fünf Männer war „umgestaltet“ worden. Die „historische Person Franz Jürgens“ war von der Stadt „inhaltlich neu bewertet“ worden, sein Name auf dem Gedenkstein „vor dem Hintergrund der geschichtspolitische Debatte um den damaligen Oberstleutnant der Schutzpolizei Franz Jürgens und dessen Rolle im Nationalsozialismus“ mit einer milchigen Glasblende überdeckt, gleichsam gestrichen. „Wir tilgen die Person Franz Jürgens nicht aus der Geschichte der Stadt. Wir wollen kein Schwarz oder Weiß, sondern Grauschattierungen. Der Name – durch einen Steg aus Milchglas überblendet, der eine Durchstreichung andeutet, aber lesbar bleibt - wird nun einem Lichtspiel unterworfen sein. Er wird im Schatten liegen. Das steht symbolisch für eine Person im Zwielicht.“ - so sie Worte des Oberbürgermeisters Dr. Keller. Das klingt wie Poesie – die Realität sieht anders aus. Da ist kein Steg. Die milchige Scheibe ist direkt auf die Tafel montiert. Da kommt kein „Lichtspiel“ von Licht und Schatten bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen. Man kann nicht dahinter schauen. Man kann nur versuchen, durchzuschauen, um mit Mühe den Namen, den man dann bewusst sucht,  schemenhaft zu erraten.

So blieb Jürgens ausgeschlossen aus diesem Gedenken, das nur den vier Anderen galt, den Männern des Kreises der „Aktion Rheinland“,  Theodor Andresen, Karl Kleppe, Josef Knab, Hermann Weill.

Ausgeschlossen jetzt aus dieser „Liebe“, aus diesem „Lohn“ seiner Stadt Düsseldorf, in der er seit Ende Oktober 1944 seinen schweren Dienst versah, und wovon der Gedenkstein bisher kündete.

So wollen es die heutigen Repräsentanten der Stadt. Ehre stehe ihm nicht mehr zu, heißt es in der Ratsvorlage zum 21. März 2024, wo solches und anderes beschlossen wurde.

„Sicher sorgt das für Aufmerksamkeit. Und das will diese Intervention. Denn während dieser Name im Halbdunkel liegt, sehen wir Heutigen immer klarer.“ -  waren die weiteren Worte des Oberbürgermeisters. Und so drängt in gewünschter „Aufmerksamkeit“ auf diese „gewollte Intervention“ die Frage: Warum wird hier gelöscht auf dieser Gedenktafel an die Ermordung der Fünf? War Jürgens hier nicht ermordet worden? War sein Sterben, sein Tod des Erinnerns, des Gedenkens nicht mehr wert? Als wenn es hier an dieser Stätte statt des Erinnerns und Gedenkens an die Ermordung um „Ehrung“ ginge. Als wenn er nicht wesentlich beteiligt gewesen wäre am 16. April 1945 im Polizeipräsidium und nicht entscheidend mit gehandelt hätte zum Wohle der Stadt. Als wenn die Männer der Aktion Rheinland ihn seitdem und hinfort nicht als einen der Ihren betrachtet hätten und bei jedem Gedenken an die vier Anderen auch an ihn gedacht hätten. Ist das nicht ein Schlag der „immer klarer sehenden Heutigen“ ins Gesicht der Altvorderen? Hatten nicht sie damals gelebt und die schlimme Zeit des Nationalsozialismus selbst erfahren, auch erleiden müssen? Waren sie unwissend, blind gewesen über die erlebte nationalsozialistische Gewaltherrschaft, über die Funktion eines Kommandeurs der Schutzpolizei in jener Zeit, als sie den Namen von Franz Jürgens mit den anderen Vier auf die Tafel setzten?

Maßgebend für diesen neuen Umgang mit der „historischen Person Franz Jürgens“ - so heißt es in der Ratsvorlage zum 21. März dieses Jahres – sei ein aufgrund „breit ausgewerteter Quellen“ „detailliertere[r] Blick“ auf den Widerstand im April 1945 und auf ihn mit zwei wesentlichen Ergebnissen: er sei nicht Mitglied, sondern lediglich Unterstützer der Gruppe „Aktion Rheinland“ gewesen – als ob jemand ernstlich anderes behauptet hätte - und er habe eine „signifikante Nähe zum NS-Regime“ gehabt, für die neun Punkte angeführt sind. Was heißt die neue Erkenntnis „signifikanter Nähe zum NS-Regime“ bei einem hohen Polizeioffizier dieser Zeit? Und wirklich überraschend sind die neuen Erkenntnisse auf Grund neuer Aktenfunde in Gänze nicht für den, der sich mit der Geschichte des NS-Zeit und der Ereignisse um den 16. April 1945 beschäftigt - wenn sie auch interessante Details zu Franz Jürgens aufzeigen, ohne seine Gesinnung wirklich zu offenbaren. Ob sie stets und nur so gedeutet werden können, wie behauptet, bleibt die weitere Frage.

Der Text auf der Erläuterungstafel zu diesem Gedenkort mit seinem seltsam zurecht gebastelten Inhalt drängt zu weiteren:

Dort steht als Überschrift „Mahnmal in Erinnerung an die „Aktion Rheinland“. Dieser Gedenkort erinnert an die dramatische Befreiung Düsseldorfs vom Nationalsozialismus und an die Hinrichtungen vom 16./17. April 1945“.

Doch dieser Ort (war und) ist kein „Mahnmal in Erinnerung an die „Aktion Rheinland““; sie fand hier nicht statt. Dieser Gedenkort erinnert auch nicht an die dramatische Befreiung Düsseldorfs vom Nationalsozialismus; die fand am 17. April 1945 mit dem Einmarsch der amerikanischen Truppen in Düsseldorf, doch nicht hier statt. Er ist allein Gedenkort an die Hinrichtungen am 16./17. April 1945 und war es auch zuvor seit 1957 an der anderen Stelle an der Färberstraße – so eindeutig die bisherigen alten  Inschriften. Gedenkorte an die „Aktion Rheinland“ und die Befreiung Düsseldorfs wären eher das Polizeipräsidium, für das Standgericht das Parkhotel oder der „Weg der Befreiung“ der Dr. Wiedenhofen und Odenthal gelang, um die amerikanischen Truppenkommandanten zu überzeugen, dass ihre Truppen am 17. April ohne Widerstand in die Stadt einmarschieren könnten.

Jürgens Unterstützung der Männer der Aktion Rheinland war mehr als nur das Ausstellen eines unterschriebenen und gesiegelten Passierscheins und das Zurverfüngungstellen eines Wagens und Fahrers sowie eines weißen Tuches für Dr. Wiedenhofen und Aloys Odenthal. Es war Mittun. Nach Zeugenaussagen hat Jürgens, nachdem er einige Männer der „Aktion Rheinland“ vom Waffenwart hatte bewaffnen und einweisen lassen, selbst mit ihnen Polizeipräsident Korreng, der nicht nur NSDAP-Mitglied (seit 1.2.1931) sondern auch SS-Mitglied (seit 21.11.1933) und SS-Brigadeführer (1942) und seit Februar 1944 berechtigt war, die Uniform eines Generalmajors der Polizei zu tragen, und die Stadt bis zum letzten Mann verteidigen wollte, in dessen Dienstzimmer verhaftet. Zivilisten konnten gar nicht verhaften oder festnehmen - wie auf der Tafel „erklärt“; das zeigt Unkenntnis polizeilicher Vorgänge. Ohne tatkräftige Unterstützung von Jürgens und wohl auch von Dr.Dr. Götsch (Siegel) hätten Wiedenhofen und Odenthal weder Wagen noch Passierschein bekommen. Es stimmt wahrscheinlich auch nicht, dass die Erschossenen sofort, also noch im April 1945 in Ehrengräbern bestattet worden sind. Die Schreiben der Friedhofsverwaltung hinsichtlich der Übernahme des Grabes von Knab und Jürgens als Ehrengräber stammen aus 1955.

Nicht erklärt wird auch, weshalb die anderen vier verhaftet werden konnten: Sie waren noch im Präsidium zur Bewachung des inhaftierten Polizeipräsidenten.

Dann der vorletzte Absatz zu Jürgens. Er wird erwähnt, pauschal seine „Unterstützung“ der Männer der „Aktion Rheinland“, der „eigentlichen Akteure“, dass er „NSDAP Mitglied und aktiver Teil der (!) NS-Systems [...] an Deportationen von Juden beteiligt war (Genaues fehlt, auch dass er einem höheren Befehl nachkam). Dann der weitere Satz: "Von dieser Vorgeschichte des Beamten Franz Jürgens distanziert sich die Landeshauptstadt Düsseldorf deutlich." Aber erst seit Sommer 2023 bzw. Frühjahr 2024 – hat man vergessen, hinzu zu fügen. Doch von was distanziert sich jetzt die Stadt? Von ihm? Oder nur von seiner Vorgeschichte? Warum ist der Name dann bis zur Unkenntlichkeit verdeckt, wenn es nur um die Vorgeschichte geht? Vergessen hat man auch, hinzu zu fügen, dass die Gedenktafel im Frühjahr 2024 „umgestaltet“ und mit dieser Umgestaltung auch die Erläuterungstafel neu gefasst worden ist.

Die weitere Erkundung zum Leben und Wirken von Franz Jürgens, auch seinem Denken und dann seiner historischen Bewertung wird weitergehen, zumal Unterlagen heute zur Verfügung stehen, die früher nicht zugänglich waren. Er galt schon aufgrund seiner Verstrickung in das kriminelle NS-Regime als umstritten, als problematisch, als „Offizier im Widerstreit“ - im Innern vielleicht, offen im Handeln. Doch mindert das seinen beherzten Einsatz mit den Männern der „Aktion Rheinland“ am 16. April 1945, das er letztlich mit seinem Leben bezahlte? Ist sein Name nicht deswegen in der Stadt bislang hoch gehalten worden, sichtbar gewesen in der Stadt? Nie als „Held“ oder „Widerstandskämpfer“, wie es in dem Medien bisweilen zu lesen war.

Die von der Stadt geführte „Intervention“ zu Franz Jürgens kann helfen, kann Denken, Fragen und Urteilen befördern, wenn nicht in Fakten schon vorzeitig die Antworten gegeben würden. Sicher wollen wir „kein Schwarz oder Weiß“, aber auch keine „Grauschattierungen“, wenn sie sich aufhellen ließen; wenn nicht, wären sie zu akzeptieren.

Die Welt, Geschichte, Verhältnisse, zeitlichen Abläufe, Faktoren Zusammenhänge und auch die Menschen, ihre Gedanken, Vorstellungen, Motive und ihr Handeln sind allemal kompliziert. Man müsste von ihnen und um sie wissen, um ihnen – gewissenhaft - gerecht zu werden – und ob sich Erinnerungen an sie und ihr Wachhalten lohnen oder nicht.

Dass Erinnerungen nützlich wären, schon um selbst aus Fehlern für die Zukunft zu lernen, hoffen wir noch immer – trotz mancher Skepsis angesichts der Realitäten. Es setzt allerdings die Bereitschaft und das Bemühen voraus, neugierig zu bleiben, zu erkunden, immerfort zu fragen und sich selbst zu befragen, zu denken, zu überdenken, zu misstrauen offensichtlichem Schein, auch schnellen, schlüssig erscheinenden Behauptungen, zu kritischem Urteil, dem Infragestellen des eigenen Urteils, erneut zu überdenken und zu erneutem Urteil – wie es Hannah Arendt hielt.

In einem Gespräch Christian Staas' mit dem Historiker und Holocaust-Überlebenden Saul Friedländer unlängst über Israel, das seine Rettung war, die jüngsten Ereignisse dort und die Schwierigkeit, aus der Geschichte zu lernen, unter der Überschrift „Israel! Alles dort sah wunderbar aus ...“ („DIE ZEIT“ Nr. 4 vom 16.1.2024) hatte Saul Friedländer auf die Frage, ob Geschichte dazu beitragen könne, gegenwärtige Probleme dort zu bessern, gar zu lösen, mit „Das glaube ich nicht.“ geantwortet und auf Nachfrage: „Zu wenige sind bereit, sich historischen Wahrheiten in ihrer Komplexität zu stellen.“

Das soll uns nicht entmutigen, an der weiteren Aufhellung mitzuarbeiten. Sie bleibt Aufgabe und Verpflichtung insbesondere unseres Düsseldorfer Polizeigeschichtsvereins „Geschichte am Jürgensplatz e.V.“. Wir werden uns darin weiter zu Wort melden.

18.4.2024. Michael Dybowski