Sonntag, den 5. Juni 2011

In den vergangenen Wochen war ich täglich mit den Feldpostbriefen des Kurt Dreyer beschäftigt. Der Wachtmeister der Reserve im Pol. Batl. 67 hatte 1942 und 1943 allein aus Kranystaw und Tomaszow im sog. Generalgouvernement annähernd 200 Briefe an seine Familie geschickt. Die Berichte des damals 39-jährigen, der ursprünglich als Substitut in einem Essener Kaufhaus angestellt war, sind auch nach Jahrzehnten in ihrer Offenheit und der geschilderten Brutalität mit nichts zu vergleichen, was ich bisher je an als Selbstzeugnissen gelesen hatte. Trotz allen Entsetzens erschienen mir die Tatorte bis zur Ankunft in Polen gewissermaßen weit weg und auf eigenartige Weise virtuell.

Vom Warschauer Flughafen aus machen wir uns mit einem Leihwagen auf dem Weg in die gut 180 Kilometer südöstlich gelegene Universitätsstadt Lublin. Dort wollen wir in den kommenden Tagen historische Quellen erschließen, die nur dort überliefert sind und für unsere Arbeit besonders wichtig erscheinen.

Gemächlich folgen wir der Landstrasse durch weites, flaches Land mit Wiesen fast bis zum Horizont, darin eingebettet Teichen oder Seen, mit Feldern und, für mein Gefühl, riesigen Wäldern. Am Straßenrand bieten Frauen oder Männer in Körben Erdbeeren oder Blumensträußchen zum Kauf an. Unser Weg führt vorbei an gelb, rot oder terracottafarben gestrichenen Häusern und man glaubt sich an Italien erinnert, gäbe es da nicht ab und zu jene alten, fast verfallenen in die Landschaft geduckten Holzhütten, die vor sechzig, siebzig Jahren für die Landschaft charakteristisch waren.

Und es bedarf keiner großen Phantasie, sich vorzustellen, dass bereits Polizeibeamte des 67er Bataillons diese oder ähnliche Häuser gesehen haben und deren Bewohnern „begegnet“ sind. Um zu erkunden, was diesen Menschen durch deutsche Polizeibeamte widerfahren ist, liegt der Grund unserer Reise. Wenige Kilometer vor Lublin überhole ich einen Kleinlaster, der seine Herkunft in großen Lettern zeigt: Krasnystaw.

In Lublin angelangt brauchen wir, trotz Navigationshilfe, einige Zeit bis wir unser Hotel Mercure Unia Lublin finden. Wir melden uns an, die Dame an der Rezeption ist freundlich, hilfsbereit und sie vermittelt das Gefühl nicht als Kunden begrüßt, sondern als Gäste willkommen zu sein. Wir beziehen die Zimmer und Klaus der Netzwerker mit seiner schier unerschöpflichen Energie arrangiert sofort ein Treffen mit Sylwia für den gleichen Abend.

Gut zwei Stunden später betreten wir die Lubliner Altstadt durch das Brama Krakowska, das Krakauer Tor und erreichen nach wenigen Metern den Rynek, den alten Marktplatz der Stadt.

Wir erwarten Sylwia im Jewish Pub, einem koscheren Restaurant an der Ecke Rynek und Zloty. Auf unser Interesse nach jüdischem Leben in Lublin heute, müssen wir erfahren, dass die deutschen Okkupationstruppen jene Menschen und ihre Kultur völlig vernichtet haben. Kein Stetl mehr in dem das Leben seinen Lauf nimmt und jeder seinem Beruf nachgeht, keine Gläubigen, die am Sabbat in der Synagoge beten, niemand mehr der an der Schwelle zum Erwachsen werden Bar Mizwa feiert. Die kleine Welt des Stetl ist untergegangen. Indes: Schenkt man den Altstadthäusern mehr als einen flüchtigen Blick so fällt auf, dass an manchen Türpfosten noch die Bohrlöcher zum Befestigen einer Mesusa zu erkennen sind.

Fast selbstverständlich erhebt sich für jemanden, der Erinnerung bewahren will die Frage, in wieweit die Ereignisse um die Okkupation Polens durch das Deutsche Reich und die Ermordung der Juden heutzutage im kollektiven Gedächtnis der Menschen verankert ist. Die Antwort muss am heutigen Abend unbeantwortet bleiben.

Nach der anstrengenden Reise fallen wir rechtschaffen müde in die Betten und können kaum schlafen. Die Eindrücke des verstrichenen Tages lassen uns nicht los, die Anspannung vor dem was uns am morgigen Tag erwartet ist kaum auszuhalten. Hat sich die lange Reise tatsächlich gelohnt? Halten die Akten was sie versprechen?

 


 

Montag, den 6. Juni 2011

Unsere Befürchtungen sind unbegründet. Gleich am ersten Tag im Archiwum Panstwowe sind wir erfolgreich. Dank unseres Navigationsgerätes, das wir  inzwischen liebevoll Lisa nennen, finden wir rasch den Weg. Laut Postadresse liegt das Archiv in der ul. Jezuicka, (Jesusstrasse) tatsächlich befindet sich der Eingang unmittelbar unterhalb des Dreifaltigkeitstores. Nebenan auf dem pl. Kathedralny (Kathedralenplatz) können wir für drei Zloty pro Stunde unseren Wagen abstellen.

Bepackt mit den Rucksäcken in denen unsere Rechner, die inzwischen übertragenen und gebundenen Feldpostbriefe des Kurt Dreyer, Kameras, Schreibpapier, Kugelschreiber und Bleistifte steckten, passieren wir eine Baustelle und nehmen die Stiegen hinauf zur Pforte. Unsere Reise war gut vorbereitet. Klaus hatte die Akten ja bereits während seines Besuches 2008 entdeckt und sich schon damals die Signaturen notiert. So konnten wir beizeiten Kontakt zum  Wojewodschafts – Archiv in Lublin aufnehmen und die uns interessierenden Akten bestellen. Wie in den meisten Archiven hat man auch hier, zum Schutz der Originale, große Teile der Bestände mikroverfilmt. Folglich bleibt mir das haptische Vergnügen in alten Dokumenten zu blättern verwehrt, während Klaus noch die alten Ordner zugänglich gemacht werden. Er arbeitet sich Blatt um Blatt vor, während ich am Lesegerät den ersten Mikrofilm per Hand abkurbele. Aber das ist nicht unser Thema, schließlich sind wir nicht wegen sinnlicher Erfahrungen hierher gereist.

Unser großes Interesse gilt den Akten aus der NS Okkupationszeit Polens um herauszufinden, welche Rolle die Polizei damals gespielt hat. Insbesondere liegt unser Augenmerk auf dem Reserve Polizei-Bataillon 67 aus Essen, das ab Juli 1942 als II. Bataillon in das neu aufgestellte Polizei-Regiment 25, später SS-Polizei-Regiment 25, eingegliedert und im Generalgouvernement südlich von Lublin eingesetzt wurde.

Aus der umfangreichen Korrespondenz des Kurt Dreyer, Wachtmeister der Reserve im genannten Bataillon wissen wir inzwischen zumindest um dessen individuelle Verstrickung in die Vertreibung und Ermordung großer Teile der ortsansässigen polnischen und jüdischen Bevölkerung. Auch die Haltung zu dem was er tat, schält sich langsam heraus und der Prozess seiner schleichenden Brutalisierung wird allmählich sichtbar. Nun liegt unser Ansatz nicht nur in der Beschreibung von Motivation und möglicher Schuld eines Einzelnen.

Wir haben uns aufgemacht, die Entstehung, Entwicklung, Zusammensetzung, Aufgaben, Befehlsstrukturen, und Verantwortlichkeiten der 67er während des II. Weltkrieges zu erkunden und zu später in Buchform zu veröffentlichen.

Unsere Arbeit beginnt zunächst mit der Sichtung der Lage-Meldungen des Kommandeurs der Ordnungspolizei im Distrikt Lublin, die täglich per Fernschreiben an den Befehlshaber der Ordnungspolizei (BdO) in Krakau gingen. Sie umfassen den Zeitraum zwischen Mai und Jahresende 1943 und haben hauptsächlich die sog. Banditen-, bzw. Partisanenbekämpfung zum Thema.

 


 

Dienstag, den 7. Juni 2011

Der Tag beginnt mit einem opulenten Frühstück. Nein, diesmal kein Müsli, kein O-Saft und Magerjoghurt, Salatblätter und Gurken sind bei uns derzeit ohnehin verpönt. Es gibt Rührei, Krakauer Wurst in gedünsteten Zwiebeln, Pilzen, Toast und Kaffee schwarz oder mit Milch. Auf eine Obstration aus Äpfeln und Birnen wollen wir allerdings nicht verzichten. Kurz vor 9 Uhr brechen wir auf.

Noch nutzen wir die Hilfe unserer treuen Lisa. Aber wenn wir zu sehr auf sie vertrauen, kann es passieren, dass sich Straßenbauarbeiten nicht bis zu unserem Navi durchgesprochen haben und wir in einer Sachgasse landen.

Der Platz vor der Kathedrale ist an diesem Morgen zugeparkt und wir stellen den Wagen unterhalb des Krakauer Tores ab. Unser Weg führt uns heute nicht unmittelbar ins Archiv, sondern Klaus schenkt mir eine kleine Führung durch die Lubliner Altstadt bis hinab zu Judentor. Gepflasterte Sträßchen und verwinkelte Gassen erlauben im Spiel von Licht und Schatten ungewohnte Ein- und Durchblicke Manche Gebäude befinden sich in einem jämmerlichen Zustand. Aber an vielen Stellen lassen die für ihre Arbeit berühmten polnischen Denkmalpfleger verfallene Häuser in neuem Glanz entstehen. Andere sind schon fertig gestellt. Ich fühle mich in ein Städtchen der Renaissance versetzt. Allerdings fehlen die Kinder und Enkel jener Menschen, die bis in die späten 1930er Jahre innerhalb der Mauern gelebt haben. Über deren Schicksal zu verfügen hatte sich die deutsche Zivilverwaltung, Polizei und Wehrmacht mit ihrer NS Ideologie angemaßt und brutal in die Tat umgesetzt.

Gegen halb elf sitzen wir wieder im Lesesaal des Archivs. Hatte uns der gestrige Tag schon gute Such-Ergebnisse beschert, ist Klaus heute auf Papiere gestoßen, die endlich bisher undurchschaubare Befehlsstrukturen erkennen lassen. Oft höre ich Klaus meinen Namen rufen, wenn er einen weiteren Befehl entdeckt hat aus dem hervorgeht, wer unter welchen Voraussetzungen berechtigt ist Menschen umzubringen. Kurzum: Vor Klaus liegen die eindeutig formulierten Lizenzen zu töten für Polizisten.

Inzwischen kurbele ich weiter die Mikrofilmrollen. Von Zeit zu Zeit steht Klaus neben mir und erkundigt sich nach dem Stand der Dinge. Die täglichen Meldungen an den BdO dokumentieren u.a. Einsätze der verschiedenen Kompanien des SS-Pol. Regiments 25, aus denen auch Zusammenhänge mit Kurt Dreyers Feldpostbriefen ablesbar sind. Sie versetzen uns nun in die Lage, seine Schilderungen in größere Zusammenhänge einzubetten.

Ich glaube wir spüren beide Erleichterung, als wir am frühen Nachmittag unser Tagwerk beenden können, um Ewa, eine Polizeibeamtin aus Lublin zu besuchen, die Klaus während seines Aufenthaltes 2008 kennen gelernt hatte. Die Begegnung holt uns in die Gegenwart zurück. Als wir gegen Abend ins Hotel zurückkehren sind wir uns sicher: Nach diesem erfolgreichen Tag haben wir uns ein gutes Essen verdient.

 


 

Mittwoch, 8.6.2011

Der vorletzte Archivtag, von dem ich mir eigentlich nicht viel Neues erhofft hatte.

Dann kommt aber die letzte Akte des Tages aus dem Bestand 514, in dem sich Akten der ehemaligen SS-Polizei-Reiter-Abteilung III im Chelm finden. Die Akte war mit „Abteilungsbefehlen“ betitelt. Den Ordner hatte ich schon fast komplett durchgeschaut, als ich auf einen Befehl des stellvertretenden Regimentskommandeurs gestoßen bin. Dieser Befehl enthält quasi eine Lizenz zum Töten von Menschen.

In der schriftlichen Anordnung von Major d.Sch. Sack, dem Kommandeur des II./SS-Pol.Rgt. 25 (Res.-Pol.-Batl. 67) und gleichzeitig stellvertretendem Regimentskommandeur, steht, dass es ihm missfalle immer wieder Meldungen lesen zu müssen, aus denen hervorgehe, dass eine Person nach erfolgloser Vernehmung erschossen worden sei. Vielmehr müsse es in solchen Meldungen heißen, dass die betreffende Person erschossen wurde, bevor eine Festnahme erfolgen konnte.

Hermann Spix schaute noch den Rest eines Mikrofilms mit den täglichen Lagemeldungen an den Befehlshaber (BdO) der Ordnungspolizei in Krakau durch und verglich diese Angaben mit Briefen des Wachtmeisters d.Res. Dreyer.

Wir hatten kurz nach Mittag die Arbeit im Archiv beendet und das Gebäude schon verlassen, um noch auf dem Rynek einen Kaffee trinken zu gehen, als uns Sylwia quasi in die Arme lief. Sie wollte uns nur schnell mitteilen, dass sie an diesem Tage leider keine Zeit mehr habe, um etwas mit uns zu unternehmen. Wir verabschiedeten uns herzlich voneinander und verabredeten uns für den September. Dann soll es ja noch eine Reise mit einer Gruppe von Kolleginnen und Kollegen geben.

 


 

Donnerstag, 9.6.2011

Der letzte Archivtag in Lublin. Ich bekomme noch einmal zwei bestellte Akten der ehemaligen Deutschen Bauverwaltung vorgelegt. In einer der Akten habe ich dann eine Art Straßenkarte gefunden, die ich uns als „Express-Kopie“ bestellt und auch eine halbe Stunde später bekommen haben. Die Karte zeigte Straßen südlich von Lublin bis nach Kranystaw.

Letztendlich stellte sich heraus, dass unsere aktuellen Straßenkarten und vor allem unser Navi „Lisa“ dann doch bessere Ortskenntnisse hatten.

Nach der Arbeit im Archiv hatten wir uns ein gutes Mittagessen im Jewish Pub auf dem Rynek verdient. Mit einem letzten Bummel über den Rynek, auf dem wir feststellen, dass viele Häuser sich seit meinem letzten Besuch vor drei Jahren verändert haben. Die Finanzmittel für Restaurierungen scheinen im Moment zu fließen.

Am Abend endet der erste Teil unserer Reise in die Vergangenheit. Hermann Spix und sich sind schon gespannt auf die zweite Woche, die uns in das ehemalige Operationsgebiet des Res.Pol.Batl. 67, das seit seiner Ankunft 1942 in Lublin zum II./Pol.Rgt. 25 geworden war, führen wird.

Wir haben übrigens etwa 1.000 (eintausend) Blatt an Kopien in Auftrag gegeben.

 


 

Freitag, den 10. Juni 2011

Was schreibt man am Abend eines so ereignisreichen Tages wie diesem, der mich in einer Wiese verwirrt und erschüttert hat, dass mir auch Stunden später, es ist zwanzig nach zehn Uhr abends, die Worte fehlen. Deshalb verschiebe ich den Text auf Samstag früh. Alles begann mit einem regnerischen Morgen. Nachdem wir gefrühstückt hatten und die Rechnung bezahlt war, brachen wir auf. Einmal „um den Pudding“ gefahren, fanden wir zuerst ein Post

amt, um endlich meine Postkarten abschicken mit denen ich Klaus vermutlich schon seit unserer Ankunft genervt hatte.

Ein erster, sehr wichtiger Besuch heute galt Tomasz Kranz, dem Direktor der Gedenkstätte des früheren Vernichtungslagers Majdanek in einem südlichen Vorort Lublins.

Der Empfang ist herzlich und Klaus kann bei Kaffee und Gebäck, an die Begegnung mit Herrn Kranz vor drei Jahren erinnern. Bald geraten wir in eine spannende Debatte über Opfer- und Täterforschung im Kontext der Nazi-Okkupation Polens. In jüngerer Zeit hat sich dazu in Deutschland ein interessanter Diskurs entwickelt, wozu u.a. auch Harald Welzer mit seinem Buch „Täter“ beigetragen hat.

Natürlich sprechen wir über die Veröffentlichungen der Gedenkstätte und sind uns in dem Bedauern einig, dass insbesondere das Buch zur „Aktion Erntefest“ nur in polnischer Sprache vorliegt. Beschreibt dieses Werk doch die Vernichtung aller noch im „Generalgouvernement“ lebenden Juden am 3. und 4. November 1943 durch Nazi-Schergen.

 Jeder wird nachvollziehen können, dass wir die Gelegenheit nehmen, auch über unser Projekt zu berichten. Nachdem Tomasz Kranz mit großem Interesse in den Dreyer’schen Feldpostbriefen abgesehen hat, bitten wir ihn um Hilfe bei der weiteren Quellensuche. Er nennt uns seinen Mitarbeiter Robert Kuwalek als Ansprechpartner. Kurze Zeit später sitzen wir im Büro dieses hervorragenden Kenners der regionalen Überlieferung. Er beginnt sofort Telefongespräche zu führen, nennt uns wichtige Ansprechpartner und versorgt uns mit notwendigen Namen und Adressen. Schließlich lernen wir noch Anna Wojcik, eine Archivarin der Gedenkstätte kennen, in deren Obhut das erhaltene Schriftgut verwahrt wird. Waren Klaus und ich mit unserer „Ausbeute“ in Lublin schon sehr zufrieden gewesen, können wir nach dem Besuch bei Tomasz Kranz und seinen Mitarbeitern die Reise in der Hoffnung fortsetzen, auch in Zamosc weitere Dokumente zu finden.

Als nächstes Ziel steuern wir einen Rasthof an, Klaus nennt ihn „Zum alten Partisan“, und lassen es uns bei einem köstlichen Gulasch gut ergehen. Dann geht’s weiter in Richtung Krasnystaw, einem Städtchen rund 30 km nördlich von Zamosc, in dem Kurt Dreyer  stationiert gewesen war und wo uns ein regionales Museum lockt.  Tatsächlich führt uns ein ganz profaner Grund hierher. Als wir im Frühjahr unsere Reise planten, war in der ganzen Gegend nur hier noch ein Zimmer frei. Wir hatten nämlich zweierlei nicht bedacht. Erstens ist dies das Pfingstwochenende und außerdem wird, wie sich nun herausstellt, an diesen Tagen landesweit geheiratet – mit dem entsprechenden Bedarf an Unterkünften. In unserem Hotel sind ebenfalls Gäste einer Hochzeitsgesellschaft abgestiegen. Wir fallen da sozusagen unter die Exoten.

Nachdem wir das Zimmer bezogen hatten, kam Liesa wieder zum Einsatz. Sie führte uns an Zamosc vorbei, nach Belzec, einem Ort, kaum 16 km von der Grenze zur Ukraine entfernt. Jenseits des Ortskerns liegt die Bahnstation. Nach wenigen hundert Metern weist Klaus mir linker Hand den Weg von der Hauptstraße ab. Ich fahre etwas bergan, quere Bahngleise und halte auf dem Parkplatz vor einer Betonmauer, verlasse das Auto, nähere mich einem Tor. Auf der Wand rechts steht ein Text in rostigen Lettern:

THIS IS THE SITE OF THE MURDER OF ABOUT 500.000 VICTIMS OF THE BELZEC DEATH CAMP, ESTABLISHED FOR THE PURPOSE OF KILLING THE JEWS OF EUROPE, WHOSE LIVES WERE BRUTALLY TAKEN BETWEEN FEBRUARY AND DECEMBER 1942 BY NAZI – GERMANY

Ich zögere, trete ein. Diese unfassbare Zahl von Opfern. Vor mir auf einem ansteigenden Hang das riesige mit grau-schwarzer, geborstener, zerrissener, scharfkantiger, ausgeglühter Hochofenschlacke bedeckte Areal des Vernichtungslagers Belzec. Die Fläche wird von einer niedrigen Mauer aus Beton eingefasst, aus deren grober Oberseite rostige Moniereisen in den Himmel ragen. Und Mitten hinein in den Berg führt jener Weg, über den die Menschen von den NS-Schergen ins Gas getrieben wurden. Ich folge dem groben Pflaster. Mit jedem Schritt werden die Wände höher, bald fühle ich mich klein, eingeengt, bedroht, ausgeliefert. Die Mauern scheinen keinen Ausweg zu lassen und das raubt mir fast den Atem. Schließlich erhebt sich vor mir eine riesige graue Wand. Sie markiert den Standort der Gaskammern.

Über elf Monate hinweg hielten im Rahmen der „Aktion Reinhard“ kurz hinter dem Bahnhof von Belzec zwei Mal am Tag Züge mit Menschen, die unmittelbar ins Gas getrieben wurden: rund 1500 Menschen täglich, 45.000 Menschen pro Monat und nach nicht mal einem Jahr waren etwa 500.000 Kinder, Männer und Frauen ermordet worden.

EARTH DO NOT COVER MY BLOOD, LET THERE BE NO RESTING PLACE FOR MY OUTCRY.

Nach meinem Empfinden ein verzweifelter Versuch, das Grauen in Worte zu fassen. Auf dem Weg zurück in die Gegenwart lese ich die Heimatorte der Opfer. Meine Geburtsstadt Düsseldorf zählt dazu, auch das mir vertraute Köln und Essen, der Herkunftsort des Polizeibataillons 67.

Am Tor muss ich den Satz erneut lesen:

THIS IS THE SITE OF THE MURDER OF ABOUT 500.000 VICTIMS OF THE BELZEC DEATH CAMP, ESTABLISHED FOR THE PURPOSE OF KILLING THE JEWS OF EUROPE, WHOSE LIVES WERE BRUTALLY TAKEN BETWEEN FEBRUARY AND DECEMBER 1942 BY NAZI – GERMANY

...und weiß, warum wir diese Arbeit tun.

Unmittelbar hinter der heutigen Umfriedungsmauer befindet sich ein aus Eisenbahnschwellen und Schienen errichteter Scheiterhaufen, auf dem die Körper ermordeter Menschen verbrannt wurden. Später sollen wir noch erfahren, dass bei starkem Ostwind der Geruch der brennenden Körper bis in das etwa 30 Kilometer entfernte Städtchen Krasnobrod zu riechen war.

 


 

Samstag, den 11.6.2011

Heute wollen wir das Einsatzgebiet des 67er Bataillons südwestlich von Zamosc besuchen. Durch unser reichhaltiges Frühstück gestärkt und genügend Wasserflaschen versorgt, folgen wir der E 372 nur etwa 10 km bis Izbica. Von dort nehmen wir den Weg über Land und werden auf Strassen durchgerüttelt, die keine „normale“ Karte zeigt. Wir kommen durch Dörfer, wo über Kilometer winzige Hütten entlang unserer Route stehen. Viele scheinen unbewohnt. Die Eigentümer haben dahinter inzwischen große Häuser aus Stein errichtet. Die kleinen, eingeschossigen, früher riedgedeckten Holzhäuschen mit einer Grundfläche von allenfalls 8 auf 3 Meter  waren zur Zeit der Deutschen Besatzung vor 70 Jahren die üblichen Behausungen von Bauernfamilien. Sie sind zugleich Dokumente eines ungeheuer kärglichen Lebens. Noch heute gehört diese Region an der Grenze zur Ukraine zu den wirtschaftlich am wenigsten entwickelten in Polen.

Und ähnliche Häuser in Brand gesteckt und deren Einwohner vertrieben oder getötet zu haben brüstet sich Kurt Dreyer in seinen Briefen gleich mehrfach. Der Mann aus Essen war ein kleines Rädchen im großen Getriebe des sog. „Generalplans Ost“, dessen Ziel darin bestand, das Generalgouvernement „judenfrei“ zu machen und außerdem Teile der polnischen Bewohner aus ihren Dörfern zu vertreiben. In die Leerstehenden Höfe zogen innerhalb weniger Stunden „volksdeutsche“ Siedler, die man aus Bessarabien, Wolhynien oder von sonst wo hergelockt hatte. Auch der frühere Bundespräsident Horst Köhler, der hier hohes Ansehen genießt, kam in einem dieser Dörfer zur Welt.

Das sich nicht alle Juden und Polen willenlos zur Schlachtbank führen ließen, hatten die Nazi-Ideologen wohl nicht ins Kalkül gezogen. Als Reaktion auf die Germanisierungsversuche entstanden überall Partisanengruppen, die mit Unterstützung der Bevölkerung aus ihren Verstecken in den riesigen Wäldern die Besatzer mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpften. Sie überfielen „volksdeutsche“ Dörfer, Felder gingen in Flammen auf, um Getreidelieferungen nach Deutschland zu verhindern, kappten Telefonleitungen, zerstörten Versorgungseinrichtungen, sprengten Eisenbahnlinien in die Luft  oder vernichteten Einwohnerverzeichnisse und Kirchenbücher, um die Registrierung von Arbeitskräften für Deutschland zu unterbinden.

Gegen diese, im Verständnis der Besatzer als „Banditen“ oder „Partisanen“ angesehenen Widerstandsgruppen ging man mit aller Brutalität vor und hatte keine Probleme damit,

ganze polnische Dörfer niederzubrennen und, wie etwa im Fall des Ortes Sochy geschehen, am 1. Juni 1943 die gesamte Bevölkerung zu erschießen. Das war weiß Gott kein Einzelfall.

Beispielsweise sind Dreyers Briefe sind voll von Schilderungen solcher Aktionen, die man im Nazijargon „Pazifikationen“, d.h. Befriedungen, nannte.

Als ersten Ort auf unserer Fahrt erreichen wir das Städtchen Szczebreszyn, wo bis zum 2. Weltkrieg eine jüdische Gemeinde mit einer großen Synagoge existierte. Der während der NS-Besatzung zerstörte weithin sichtbare Sakralbau wurde in den vergangenen Jahren instand gesetzt und dient heute als Kulturzentrum. Eingedenk der ehemaligen Bedeutung als Gebetshaus irritieren und doch die großen Holzskulpturen auf der umlaufenden Terrasse und die Nutzung des Innenraumes aus Theatersaal.

Wir folgen der einen Hügel hinaufsteigenden Straße zum alten jüdischen Friedhof. Das von einer Mauer umfriedete Areal ist verwildert. In mannshohen Brennnesseln, Beerensträuchern und Grasbewuchs entdecken wir die Spitzen alter Grabsteine. Uns zu einigen den Weg zu bahnen bereitet zwar Schwierigkeiten, aber es gelingt. Die Steine reichen zurück bis ins ausgehende 16. Jh. und dokumentieren, auf welch hohes Alter die jüdische Gemeinde vor ihrer Vernichtung zurückblicken konnte, und auch welch kultureller Reichtum hier über Jahrhunderte gelebt wurde. Aus der Literatur wissen wir, dass alle Grabsteine dokumentiert sind. Wenn man allerdings  den oberhalb gelegenen katholischen Friedhof sieht, ist dem alten heiligen Ort der Juden mehr Pflege zu wünschen. 

Als unser nächstes Ziel steuern wir über den Erholungsort Zwierzyniec die Stadt Bilgoraj an. Obwohl uns als Einsatzort bekannt, war unsere Recherche dort erfolglos. Auch Zeugnisse früheren jüdischen Lebens suchten wir vergeblich, denn auch der Hinweis von Bauarbeitern, dass es sich bei der Kirche mit deren Restaurierung sie beschäftigt sind um die frühere Synagoge handele, stellte sich als Irrtum heraus. Nach einer Entschuldigung und längerer Diskussion mit seinen Kollegen wurde uns unter vielen uns unverständlichen Erklärungen und zugewandtem Lächeln ein Zettel mit der Wegbeschreibung überreicht. Schließlich landeten wir vor einem kleinen Bauernmuseum in dem uns niemand verstand. Wir beschlossen uns auf dem Weg ins 30 km entfernte Jozefow zu machen.

Auf halber Strecke steuerten wir durch Aleksandrow. Das Dorf liegt über mehrere Kilometer entlang der Straße. Einige Hinweise lassen derzeit vermuten, dass die 67er auch hier „tätig“ gewesen sind. Auf einer Waldstrecke plötzlich: Stopp! Fahr mal zurück.  Klaus hat linkerhand einen Gedenkstein entdeckt. Kurz drauf stehen wir auf der Anhöhe von Winiarczyk, wo im Mai 1942 durch die Gestapo 120 Juden brutal erschossen wurden. Nur kurze Zeit später richteten Polizisten des 101. Reserve-Polizei-Bataillons aus Hamburg auf dem Marktplatz des nahen Jozefow zwischen 1500 und 1700 jüdische Menschen hin.

Im Ort angelangt besuchen wir den jüdischen Friedhof und fahren über Susiec weiter nach Krasnobrod. Es gibt kaum ein Dorf ohne Erinnerung an Massaker, kaum einen Wald, dessen Erde nicht von Blut getränkt ist.

Wir parken vor einer großen Klosteranlage wohl wissend, dass Kurt Dreyer mit seiner Einheit im Februar 1943 in dieser Kirche Quartier bezogen hatte. Aus dem Brief vom 9.2.1943 schreibt er an seine Ehefrau, die er liebevoll „Mammi“ nennt, man habe auf der Orgel in der schönen Kirche Soldatenlieder gespielt und alle Glocken und Glöckchen ausprobiert und somit läuten lassen

Gern würden wir mehr erfahren, aber an diesem Tag keinen Ansprechpartner. Uns scheint, als sei hier jeder Mensch irgendwie mit Heiraten beschäftigt und beschließen am Montag zurück zu kehren. Und diese Entscheidung sollte zu einem ausgesprochenen Glücksfall werden.

Als wir rollen weiter, um uns, quasi als Trost, auf dem Rynek zu Zamosc einen köstlichen Mokka zu gönnen. Als Sahnhäubchen erlebten wir auf dem wunderschönen Platz aus der Renaissance die Proben zu einem Konzert am Abend. Das war nach diesem Tag etwas Balsam für unsere Seelen.

 


 

Sonntag, den 12.6.2011

Der Sonntag verläuft sehr ruhig. Unsere Mitgäste scheinen abgereist zu sein, denn wir sitzen allein im Frühstücksraum. Im Nachhinein sind wir froh, am Abend zuvor nicht doch noch nach Zamosc zurückgefahren zu sein, um das Konzert zu hören. Ersten waren wir beide todmüde, außerdem hat es wie aus Eimern geschüttet. Da ich in der Nacht mit Stöpseln in den Ohren geschlafen habe erfahre ich durch Klaus, dass die schweizerischen Logiergäste bis frühmorgens heftigst gefeiert haben.

Heute nehmen wir uns nur einen kleinen Ausflug nach Boncza vor, einem Dorf etwa 14 km östlich von Krasnystaw. Aus dem gleichnamigen Wald sind Einsätze von Dreyers Einheit überliefert. Wie an den vergangenen Tagen erscheint es uns auch hier wichtig, nicht nur die Quellen gelesen zu haben, sondern auch die örtlichen Gegebenheiten zu kennen. Unterwegs sehen und fotografieren wir einige Häuser, die schon vor 70 Jahren gestanden haben können.

Dann führt uns der Weg doch wieder nach Zamosc, und wir bedauern einmal mehr, dort keine Unterkunft gefunden zu haben.

Die Kirchen sind wegen des Pfingstfestes brechend voll, die Gläubigen stehen bis auf die Straße. Eine Besonderheit fällt uns allerdings auf. Vor einem orthodoxen Gotteshaus steht ein Polizeifahrzeug mit zwei Beamten. Da wir verschiedentlich von heftigen Vorbehalten gegenüber Menschen aus der Ukraine gehört haben, scheint das Verhältnis der polnischen Bevölkerungsmehrheit zur ukrainischen Minderheit nicht problemlos zu sein.

Wir gönnen uns bei einem Eis etwas Entspannung auf dem Rynek, genießen, wie der Platz

sich vom LKW-Tross des Samstagskonzertes leert und schließlich wieder in voller Pracht vor uns liegt. Zum Abschluss besuchen wir in der ul. Pereca die alte Synagoge, heute ebenfalls ein säkulares Kulturzentrum. Bei der Gelegenheit erfahren wir, dass Zamosc bis zur Shoa eine Stadt mit reichem jüdischem Leben war und somit auch eine bedeutende Wurzel der polnischen Kultur. Beim Ausbruch des Krieges betrug der Bevölkerungsanteil der Juden 43,3 %. Heute findet man die Nachfahren der Überlebenden in Israel und den Vereinigten Staaten. In der „alten Heimat“ selbst scheint die jüdische Gemeinde erloschen.

Voller Erwartung auf den Montag kehren wir am frühen Abend in unser Quartier zurück.


Montag, den 13.6.2011

Never ever! Diese beiden Worte markieren den Tag. Montag, Pfingstmontag. Ist heute auch im katholischen Polen ein Feiertag? Beim Blick aus dem Fenster sehen wir geöffnete Läden. Menschen sind mit Einkaufstaschen unterwegs. Also kein Feiertag. Zumindest eines ist sicher: Montags bleiben europaweit die Museen geschlossen. Was oder wer auch immer an diesem Tag geöffnet, geschlossen oder gesprächsbereit ist; nach dem Frühstück brechen wir auf ins rund 60 km entfernte Krasnobrod.

Wir stellen den Wagen vor dem Tor zum Klosterhof ab und sind uns sicher irgendwo die Pforte zu finden. Durch eine kleine Tür erreichen wir den um einen Innenhof verlaufenden Kreuzgang. Alle anderen Türen sind verschlossen, sogar der Laden für Devotionalien erwartet heute keine Kunden. An der Kanzlei verweist uns ein Schild auf die Sprechzeit ab 17.00 Uhr. Gegenüber stehen in den großen Fensternischen Beichtstühle, die eine große Zahl von Gläubigen vermuten lassen, aber kein Mensch ist weit und breit zu sehen. Ein seltsames Kloster, denke ich. Keine Pforte, keine Patres, kein Personal, kurzum, es gibt nichts was auf eine mönchische Gemeinschaft schließen ließe. Wir umrunden das innere Klostergärtchen und erreichen schließlich den Seiteneingang zur barocken Klosterkirche. Beide ob der Vergeblichkeit unserer Reise hierher ziemlich gefrustet, nimmt Klaus zwischen Gläubigen auf einer Bank Platz. Weitere Gläubige finden sich ein. Ich will mich mit der Situation nicht abfinden. Sollte hier in Kürze eine Messe gelesen werden, wird irgendwo auch ein Priester zu finden sein.

Beim zweiten Weg durch den Kreuzgang erscheint am anderen Ende jemand mit Kollar um den Hals, den ich, Ministrant der ich als Junge einmal war, als Geistlichen identifizieren kann. Doch bevor ich ihn erreichen kann, ist er über einen Treppenaufgang ins Obergeschoss verschwunden. Dafür öffnet sich die Türe des Ladens für Devotionalien. Die Frau hinter der Theke versteht weder Deutsch noch Englisch, winkt mich aber intuitiv hinter sich her. Unterwegs spricht sie einen älteren Priester an, der sich allerdings in die Sakristei entschuldigt. Während sie mit ihrem mobilen Telefon hantiert, gibt sie zu verstehen ich möge warten. Schließlich reicht sie mir das Gerät, und ich vernehme kaum hörbar eine Stimme: Was kann ich für Sie tun? Ohne meinen Gesprächspartner zu kennen berichte ich vom Grund unseres Besuches, erzähle von Kurt Dreyer, dem Pol. Batl. 67 und der Nazi-Okkupation Polens. Als Antwort nur ein Satz: Ich komme! Wer mag das nur sein und wie lange wird der Mensch hierher brauchen. Wie soll nur Klaus in der Kirche von der neuen Situation erfahren?  Und was geschieht, wenn mein Gesprächspartner erscheint und ich bin unterwegs, um Klaus zu informieren. Noch mit derlei Abwägungen beschäftigt, nähert sich eine junge Frau, die,  von der Händlerin angesprochen, sich auf Englisch nach meinen Wünschen erkundigt. Ich stelle mich vor. Sie erklärt Historikerin zu sein und ihr Vater habe einen Aufsatz über die Zeit der Deutschen Besetzung geschrieben. Erst ist kein Mensch da und nun gibt es gleich zwei, die bereit sind mit uns zu sprechen. Klaus glaubt schon lange nicht mehr an Zufälle. Ich möge doch bitte warten, gibt sie zu verstehen, sie sei „in a hurry“ und wolle zur Messe. Kaum ist die Dame verschwunden, kommt ein schlanker, hoch gewachsener Mann in Soutane, freundlich lächelnd auf mich zu und begrüßt in deutscher Sprache. Es handelt sich Prälat Dr. Eugeniusz Derdziuk, den Pfarrer der Gemeinde Krasnobrod. Das Kloster werde schon seit 150 Jahren nicht mehr als solches genutzt, erfahre ich, die Abteikirche sei seit jener Zeit die Kirche der Pfarrei und die Gebäude dienten als Priesterwohnungen. Sein Deutsch ist hervorragend und entsprechend gut verläuft unser Gespräch. Mit großem Interesse hört er von unserer Arbeit, den Briefen des Kurt Dreyer und dessen Aufenthalt in der Kirche. Er verspricht zu helfen und will seinen Vorgänger im Amt befragen.

Ich nutze die Gelegenheit, um Klaus durch Handzeichen zu informieren wo ich ihn erwarte.

Noch bevor der Pfarrer zurückkehrt, biegt Klaus um die Ecke. Kaum ist er über die neue Entwicklung informiert, kommt Dr. Derdziuk mit zwei großen Büchern unter dem Arm zurück. Wir können unser Glück kaum fassen. Sowohl der maschinenschriftlich, wie auch der von Hand verfasste Text in polnischer Sprache befassen sich mit der Kriegszeit und wir dürfen die Manuskripte sogar ablichten. Was mehr kann sich ein Forscherherz nur wünschen.

Dann lädt uns der Geistliche zum Mittagessen ein. Hat er sich womöglich versprochen, oder wir vielleicht etwas nicht ganz mitbekommen? Einladung, Mittagessen?! Bei soviel Gastfreundschaft müssen wir wohl ziemlich verdutzt aus der Wäsche geguckt haben, denn er bittet uns noch mal zu Tisch. Wir nehmen an. Nur, was wird aus der jungen Historikerin in der Kirche? Es bedarf einer kurzen Anfrage per Telefon. Wenig später steht sie lächelnd in der Türe und schlägt eine Verabredung für den Abend des kommenden Tages vor. Näheres wolle sie mit uns per Handy absprechen.

Mit unserem Gastgeber und seinen Mitbrüdern im Amt sitzen wir kurz drauf hinter mächtigen Mauern in einem großen Speiseraum in Gespräche vertieft.  Aus der benachbarten Küche  wird Tomatensuppe mit Flädel aufgetragen, gefolgt von gebratenem Geflügel, Kartoffeln und Salat. Zum Dessert steht eine riesige Glasschüssel mit frischen Erdbeeren aus Pfarrers Garten auf dem Tisch. Wir wollen uns schon verabschieden, als Klaus was zu den alten Bauernhäusern wissen will. Ja, sagt Dr. Derdziuk, er habe da einen Bekannten mit einem kleinen privaten Freilichtmuseum, dahin könne er mit uns fahren. Allen Ernstes frage ich mich so langsam, ob wir uns im Jahr 2011 oder im Paradies für Rechercheure befinden. Über holprige Straßen geht die Fahrt zum fast 10 km entfernten „Agroda Guciow“, einer idyllischen alten musealen Hofanlage. Als wir unseren Gastgeber später zu einem Dankeskaffee einladen wollen, entdecken wir im Schankraum des Museums ein großes rot emailliertes Schild mit weißer Schrift: Soltys. Ein Schild, das früher am Amtssitz eines Dorfschulzen hing und wovon in Dreyers Briefen immer wieder die Rede ist. Bei diesen Vorsitzenden hatte der Mann aus Essen sich oft einquartiert und bewirten lassen um anschließend auch noch einige Hühner zu requirieren. Wir dürfen das historische Objekt sogar fotografieren.

Unser Mokka droht kalt zu werden, denn unerwartet gesellte sich der Betreiber des Museums und dessen Frau zu uns und wir erhalten Antworten auf alle Fragen, die uns hier interessieren.

Nach einer kurzen Unterhaltung zwischen „unserem“ Pfarrer und dem Bauern verabschiedet sich dieser. Unterdessen erfahren wir von seiner Frau, dass sie an einem Buch über den Hof schreibe und dabei auch die Okkupationszeit thematisieren wolle. Kurz drauf verabschiedet sie sich zu einer Arbeit. Unterdessen erklärt Pfarrer Derdziuk, dass der Bauer kein unhöflicher Mensch sei, sondern bald zurückkehren werde. Er sei unterwegs, um eine Zeitzeugin für uns herzubringen. Diese Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft ist kaum auszuhalten. Sie wird vielleicht durch unser großes Interesse am Schicksal dieser Menschen und dem ihrer durch Deutsche geschundenen Heimat genährt.

Wir rücken die Stühle zusammen, damit alle am Tisch Platz finden. Die alte Dame mit Blicken, als habe sie den Schalk im Nacken, beginnt zu erzählen. Von einem deutschen Soldaten berichtet sie, der ihr und ihrer Mutter im Frühjahr 1942 das Leben gerettet habe.

Noch heute bete sie für ihn. Sie nestelt einen Zettel hervor und liest laut und deutlich den Namen vor: Ernest Rayeck. Der habe ihnen damals geraten sich vor den anderen Soldaten im Wald zu verstecken, sei dafür von seinen Kameraden erschossen und seine Leiche verscharrt worden. Später, sagt sie, hätten Mutter und Tochter immer wieder Blumen auf das Grab gepflanzt. Irgendwann seien sie deswegen von Soldaten zur Rede gestellt worden und hätten geantwortet: Das war ein Mensch! 

Ihre tiefe Dankbarkeit für diesen Mann, der ihr ein zweites Leben geschenkt hat, ist auch nach 70 Jahren noch spürbar. Inzwischen sei sein Grab verschwunden, sagt sie, so bliebe ihr nur noch für ihren Retter beten.

Um das Treffen gewissermaßen abzurunden, warten unsere bäuerlichen Gastgeber mir einer Spezialität der Gegend auf. Grütze in Gruiebenmantel mit dicker Milch. Leider muss ich als Autofahrer auf den Wodka verzichten, der zum Abschluss ausgeschenkt wird. Mir zum Trost nehme ich zwei kleine Flaschen mir nach Hause.

An diesem Abend kehren wir dankbar, erschöpft und zufrieden nach Krasnystaw zurück und sind voller Erwartung auf den morgigen Tag. Zuerst wollen wir ins Museum nach Zamosc und anschließend zu unserem „Historikertreffen“ wieder nach Krasnobrod. Der Tacho unseres

PKW zeigt inzwischen rund 1000 Fahrkilometer.


Dienstag, den 14.6.2011

Heute sind wir früh aus den Federn. Am Abend sind wir irgendwann im 60 km entfernten Krasnobrod verabredet. Genaueres sollen wir ja im Laufe des Tages telefonisch erfahren. Zunächst geht's nach Zamosc. Nachdem was wir von der Gedenkstätte Majdanek an Informationen und Ansprechpartnern erfahren haben, wollen wir schon beizeiten im dortigen Museum eintreffen, um den ganzen Tag für die Arbeit zur Verfügung zu haben. Wir sind guter Dinge als wir auf das Haus auf dem Rynek neben dem Rathaus zusteuern. Aber solche Art Optimismus sollte einen auch stutzig machen. Wir gehen zur Kasse und legen einen Zettel mit dem Namen jener Ansprechpartnerin vor, die uns Robert Kuwalek genannt hatte. Maria Rzezniczak wird gerufen und wir tragen ihr unser Anliegen vor und bitten darum, Fotobestände aus der Besatzungszeit einsehen zu dürfen. Entgegen unseren Vorinformationen scheint die Mitarbeiterin weder Englisch noch Deutsch zu sprechen. Sie versucht die Situation dadurch zu retten, indem sie mit uns zur benachbarten Touristeninformation geht, um dort Übersetzungshilfe zu erbitten. Aus eigener Erfahrung vom Sonntag weiß ich, dass eine Angestellte Deutsch spricht. Leider ist die aber mit zwei Architekten im Gespräch und wir müssen uns eine halbe Stunde gedulden. Später kommt einer der beiden Herren auf uns zu und versichert uns seine Unterstützung. Es gebe zwar Fotografien sagt er, aber mit verschiedenen Urheberrechtsinhabern, außerdem wolle er sich für uns um Kontakte zur früheren Widerstandsbewegung bemühen. Er werde uns noch vor der Abreise kontaktieren. Dem Leitspruch auf der Rückseite seiner Visitenkarte „Never give people what they want, give more!" vertrauend, verabschieden wir uns. Es ist kurz vor halb zehn. Ein Anruf hat uns noch nicht erreicht. Enttäuscht nippen wir an einer Tasse Kaffee und entschließen uns weitere Tatorte zu besuchen.

Zuerst steuern wir das Dorf Bialowola im Distrikt Zamosc an. Dort wurden am 29. Dezember 1942 in einer gemeinsamen Aktion von Gestapo, Truppenpolizei, SS und ukrainischen Hilfstruppen 15 Kinder, 17 Frauen und 19 Männer ermordet und deren Eigentum geplündert. Vor Ort halten wir nach einem Gedenkstein Ausschau und entdecken etwas Vergleichbares auf dem Gelände der Dorfschule. Es ist grade große Pause und ich bitte den Aufsicht führenden Lehrer um die Erlaubnis fotografieren zu dürfen. Während wir mit der Arbeit beginnen, treten weitere Lehrer auf den Hof. Ich gehe auf sie zu, stelle mich vor. Eine Kollegin spricht Englisch und dolmetscht. Was wir als Denkmal angesehen haben ist in Wirklichkeit die Grabstelle der Opfer. Nur wenige Schritte von der Wand des Schulgebäudes entfernt liegt ein weiteres Denkmal und, wie die Schulleiterin berichtet, handelt es sich dort um den tatsächlichen Ort des Massakers. Sie bittet uns in ihre Schule und verharrt vor einer Fotografie jenes furchtbaren Tages vor 69 Jahren. Daneben hängen in einem Bilderrahmen die Fotografien einer Gedenkfeier aus jüngster Zeit. Ohne Zweifel gehören die schlimmen Ereignisse jenes Tages zur kollektiven Erinnerung des Dorfes.

Zum Abschied drängen sich zwei Mädchen vor, um einen Text in deutscher Sprache aufzusagen, den sie für einen Wettbewerb in den kommenden Tagen geprobt haben. Wir bedanken uns für den Vortrag und nehmen die versöhnliche Geste der Kinder mit auf den Weg.

Das zweite Ziel des Tages liegt abseits der Durchgangsstraßen im kleinen Ort Sochy, nur wenige Kilometer von Zwierzyniec entfernt, wo Gestapo, SS-Einheiten und ukrainische Hilfstruppen im Verbund mit 8 Flugzeugen am 1. Juni 1943 183 Menschen umbrachten und das Dorf dem Erdboden gleich machten. In der den Nazis eigenen und an Perfidie kaum zu überbietenden Sprache bezeichneten sie die Tötungsorgie von Sochy als „Pazifikation" d.h. Befriedungsaktion.

Wir kehren nach Zwierzyniec zurück und hoffen auf das Telefonat mit unserer jungen Historikerin. Auch Pfarrer Dr. Derdziuk kriegen wir nicht an die Strippe, um den Namen der jungen Frau zu erfahren. Wir entschließen uns zur Weiterfahrt nach Krasnobrod um gleich vor Ort zu sein, wenn der Anruf uns erreicht. Als wir einen Kaffee trinken sehe ich im Augenwinkel den Pastor an unserem Lokal vorbeifahren. Schnell geht's hinter ihm her.

Das Glück ist uns wohl gesonnen. Obwohl unter Zeitdruck vermittelt er den telefonischen Kontakt und wir können endlich unser Gespräch für halb acht Uhr abends verabreden.

Bei der Gelegenheit erfahren wir, dass ein älterer Herr aus der Nachbarschaft und ihr Vater mit von der Partie sein werden. Wir sind voller Erwartung, müssen aber bis zum Abend noch eine Wartezeit von über drei Stunden überbrücken. In gewisser Weise zur Tatenlosigkeit verdammt fahren wir nach Tomaszow Lubelski, trinken dort ein „bleifreies" Bier, zuckeln wieder zurück, hängen im Auto, führen Telefongespräche und warten. Zum Glück erscheint unsere Gastgeberin schon 15 Minuten vor der Zeit.

Vater und Nachbar erwarten uns in einer Gartenlaube hinter dem Haus. Adam, der Vater unserer jungen Freundin begrüßt uns freundlich, kommt aber kaum zu Wort, denn Nachbar Marian, ein 88-jähriger alter Herr legt in ungeübtem Deutsch gleich los. Gegen meine Tonband-Aufzeichnungen hatte er nichts einzuwenden. Er berichtet von seiner Zwangsarbeit auf einem Bauernhof in Thüringen, beschreibt die unrühmliche Rolle der Arbeitsämter in diesem Zusammenhang und betont dass auch nach 60 Jahren noch gute Verbindungen bestünden.

Klaus versucht irgendwann freundlich aber bestimmt zu unserem Thema überzuleiten. Es gelingt nur schwer. Marian erinnert sich auch an deutsche Polizei in Krasnystaw, auch an deren Einquartierungen in der Kirche. Unser Gastgeber Adam kommt ins Gespräch. Mit ihm unterhält sich der Nachbar in polnischer Sprache, wendet sich, in Deutsche wechselnd, wieder an uns.

Einzelheiten mit der Kirche seien ihm nicht erinnerlich, er sei von 1943 bis 1945 in Deutschland gewesen. Als Klaus das Stichwort „Partisanen" anspricht, wird Marian hellhörig. Überall habe es die gegeben, das sei doch klar und berichtet wie einer seiner Freunde Partisan wurde. Dessen Eltern waren als Bauern zu Getreideabgaben für das Deutsche Reich gezwungen. Es war bei Strafe verboten, die vorgeschriebenen Mengen zu unterschreiten. Der Freund hatte viele Geschwister und die Eltern befürchteten bei dem rigorosen Abgaberegiment der deutschen Besatzer, dass vor allem die jüngeren Kinder vor Hunger sterben könnten. Deshalb versteckten sie unter dem Stroh zweihundert Pfund Roggen und Weizen für die Kleinen, außerdem brauchten sie Saatgut für den kommenden Frühling. Die Behörden hatten verdacht geschöpft und eine Streife auf den Hof geschickt. Bei der Gelegenheit entdeckten sie das in der Scheune das versteckte Getreide. Die Bauersleute deshalb zur Rede gestellt, wurden auf der Stelle erschossen und später deren Kinder. Anschließend ging der Hof in Flammen auf.

„Und große Sohn von Bauer", sagt Marian, „der war in Stadt und hören davon. Hat keine Haus mehr, keine Mama und Papa und kleine Kinder schießen." Er schüttelt den Kopf.

„Und dann gehen Partisan". Wieder entspinnt sich in Polnisch eine Debatte zwischen Adam und Marian, der wir leider nicht folgen können. Aber unser kleines Aufnahmegerät arbeitet unverdrossen.

Wir versuchen noch mal einen Themenwechsel und kommen auf die damals in Krasnobrod lebenden Juden. Die Polizei, erzählt Marian, habe Juden in ein nach oben offenes Backhaus getrieben, alle Türen und Fenster verschlossen und von oben Handgranaten hineingeworfen,

„und ich sehen Arme von Jude oben raus und Hände, ganze schlimme das...".

Und wieder wechselt das Gespräch ins Polnische. Irgendwann beschließen wir aufzubrechen und verabschieden uns mit dem Versprechen auf ein Wiedersehen im September.

Die Uhr zeigt nach Zehn, als wir uns in stockfinsterer Nacht auf den Heimweg machen. Bei der Ankunft in Krasnystaw zeigt unser Tacho weit über 1200 Fahrkilometer.


Mittwoch, den 15.6.2011

Für den heutigen Tag haben wir uns etwas Ruhe verordnet und verbringen den Morgen schreibender Weise auf dem Zimmer. Nach den vielen neuen Eindrücken und Erfahrungen der vergangenen zwei Wochen brauchen wir eine gewisse Einkehr. Außerdem wollen wir für morgen noch einen letzten Kontaktversuch mit „unsrem“ Architekten in Zamosc vorbereiten. Vielleicht haben wir Glück. Es wäre eine schöne Abrundung unserer Reise.

Man weiß ja nie. Auf dieser Tour ist man vor nichts gefeit.

Davon abgesehen suchen wir in Krasnystaw, Kurt Dreyers Standort, trotz intensiver Bemühungen noch immer das hiesige Regionalmuseum. Der im Internet vorgestellte moderne Bau lässt sich partout nicht finden. In unserem Hotel weiß man zumindest, dass sich das Institut neben der Kirche im Bau des ehemaligen Jesuitenkollegs befindet. Der Internet-Auftritt spielt leider Zukunftsmusik. Die umfangreichen und beeindruckenden Sammlungen hätten ein neues Domizil wohl verdient. Vom Paläolithikum über die Bronzezeit, das Mittelalter, die frühe Neuzeit bis in die Gegenwart reichen die Exponate. Auch zu unserem besonderen Thema finden wir interessante Dokumente. Beispielsweise Fotografien von Uniformierten, eine Ablichtung vom Sitz der Polizei im beschlagnahmten Gymnasium und einen Plan der deutsche Besatzungsverwaltung von Krasnystaw. Der Leiter des Hauses scheint sehr an der Dreyer’schen Korrespondenz interessiert und kann sich eine weitere Kooperation vorstellen. Später versucht der Direktor ein Gespräch mit dem Ortspfarrer zu vermitteln. Wir treffen ihn, er spricht auch deutsch, kennt Münster und Kevelaer, aber weiterhelfen könne er uns bei den Recherchen leider nicht.

Im Biergarten des Hotels runden wir den Tag mit einer Haxe ab und gehen relativ früh zu Bett…


Donnerstag, 16.6.2011

Hermann und ich haben einen Goldtaler bekommen. Wir sind reich.

Nach dem Frühstück haben wir auf dem Weg zu einem Abschiedsbesuch in Zamosc noch einmal am Regionalmuseum Krasnystaw angehalten, um dort, wie versprochen, ein Exemplar unseres Ausstellungskatalogs „Transparenz und Schatten“ abzuliefern.

Der Direktor des Museums, freundlich wie am gestrigen Tag, war sichtlich erfreut über dieses Geschenk. In seinem gebrochenen Englisch bedankte er sich bei uns. Eine offensichtlich zufällig anwesende Dame sagte etwas auf Polnisch und der Herr Direktor öffnete einen wunderschönen alten Schrank in seinem Büro. Von dort holte er für Hermann und mich je einen „Krasnystawer Goldtaler“, offensichtlich eine Werbeaktion für den geplanten Neubau des Museums.

Es folgte eine Verabschiedung auf Deutsch, Polnisch und Englisch und schon saßen wir wieder in unserem Leihwagen und waren unterwegs nach Zamosc.

Der nette Architekt, der am Dienstag so nett für uns gedolmetscht und gestenreich bekundet hatte, er würde uns Material und Kontakte zur „Untergrundarmee“ machen, hatte sich bis heute nicht mehr bei uns gemeldet. Wir besprachen, auf dem Marktplatz in Zamosc in einem der dortigen Cafés noch einen guten Kaffee zu trinken. Von dort wollte ich den guten Architekten noch einmal anrufen, um zu fragen, wie der Sachstand sei. Auf seiner Visitenkarte befanden sich zwei Telefonnummern. Unter keiner dieser Nummern erreichte ich ihn. Ich werde langsam sauer. Auf Hermanns Vorschlag hin gehen wir dann zur Touristeninformation am Rathaus. Die nette Dame, die so gut Deutsch spricht, hilft uns und schafft es tatsächlich, eine Verbindung mit Herrn Lasocha herzustellen. Der ist ganz in der Nähe in seinem Büro, verspricht sofort zu kommen und auch gleich einen befreundeten Historiker mitzubringen.

Gemeinsam gehen wir dann auf die Terrasse des benachbarten Cafés. Der Historiker hat es eilig, um zu einem Termin zu kommen. Ich drücke ihm noch einen Flyer des Vereins in die Hand und er verspricht, sich zu melden.

Herr Lasocha hat auf einmal eine Idee. Er ruft bei der Kulturabteilung der Stadtverwaltung an und nach einigen Minuten erscheint Agnieska Grabska, die ein hervorragendes Deutsch spricht. Agnieska ist für die internationale Zusammenarbeit von Zamosc zuständig. Sie verspricht uns, dem Leiter des Stadtarchivs und dem Leiter des Stadtmuseums über unseren Besuch zu berichten und diese Herren zu bitten, uns in beiden Einrichtungen sicherlich vorhandene Dokumente und Fotos aus der Zeit der Okkupation für unser Projekt zur Verfügung zu stellen. Man kann sich vorstellen, dass uns diese Aussichten für alles entschädigten.

Ich versprach, Agnieska sofort Anfang der kommenden Woche eine Mail mit einer ausführlichen Beschreibung unseres Projekts und unseren Wünschen zu schicken.

Heimlich habe ich ja auch noch die Hoffnung, dass sie gute Drähte zu ihren Kolleginnen und  Kollegen in den umliegenden Gemeinden hat und dass die dann wiederum….

Vor dem Abschied gibt uns Herr Lasocha noch den Tipp nach Zwierzyniec zu fahren. Dort habe es ein kleineres Konzentrationslager gegeben. Nun erinnere eine Ausstellung in einer Kirche an dieses Lager. Wir machen uns auf den Weg und kurz nach dem Ortseingangsschild der Brauereistadt Zwierzyniec finden wir die beschriebene Kirche. Hier dokumentieren wir die kleine Ausstellung fotografisch, versuchen anschließend noch vergeblich das Rathaus zu finden um eventuell noch schriftliche Unterlagen zu bekommen. Dann fahren wir über Izbica nach Krasnystaw zurück.

Hier essen wir im Hotel noch eine riesige polnische Pizza. Hermann schreibt die restlichen Blogs der vergangenen Tage bis zum Mittwoch, ich den von heute.

Ausblick auf Freitag, 17.6.2011

Ich glaube und hoffe nicht, dass es vom Freitag noch etwas berichtenswertes geben wird. Nach dem Frühstück werden wir das Zimmer bezahlen und uns dann auf den etwa 250 km langen Weg nach Warschau machen.

Am Flughafen werden wir das Auto, das uns bis dahin etwa 1.600 Kilometer sicher durch den Südosten Polens gebracht hat, zurückgeben. Dann werden wir das Gepäck einchecken, etwas Essen, ein wenig im Duty Free Bereich einkaufen, eine Sicherheitskontrolle durchlaufen (das Taschenmesser habe ich gerade schon im Koffer verstaut) und auf unseren Flieger warten. Der wird uns dann um 17.15 Uhr sicher nach Düsseldorf zurück bringen. Hermann und ich werden uns gegen 19.30 Uhr auf dem Flughafen trennen und wir werden in unser jeweiliges Zuhause zurückkehren.

In den vergangenen zwei Wochen haben wir viel Grausames erfahren, schöne Stunden mit netten Menschen verbracht, manchmal ganz unverhofft Sachen erlebt, die nach meiner festen Überzeugung nicht zufällig passiert sein können und gemerkt, dass wir die beiden richtigen Typen für unser Projekt sind.

Hermann Spix und Klaus Dönecke